Das Ende der Angst

■ Homosexualität in Rußland legalisiert

Moskau (taz) – Homosexuelle haben in Rußland eine juristische Existenzberechtigung, seit Präsident Jelzin am 29. April den ersten Absatz des Paragraphen 121 des russischen Strafrechtes für ungültig erklärt hat. Danach war Geschlechtsverkehr zwischen Männern mit drei bis acht Jahren Gefängnis oder Lagerhaft zu bestrafen. Aber erst letzte Woche machte die regierungsamtliche Rossijskaja Gazeta den Beschluß publik. „Politisch nicht gerade sehr zielbewußt“, nannte Kevin Gardener, Direktor des Moskauer „HIV/ Aids Resources Center“, in diesem Zusammenhang das Verhalten der Jelzin-Administration. Kein Wunder, daß sich die russischen Homosexuellen nicht allein auf das Versprechen des Moskauer Justizministeriums verlassen wollen, die rund zweitausend aufgrund des annullierten Artikels Inhaftierten unverzüglich freizulassen. „Ob ein schwuler Häftling einen Monat früher oder später aus dem Gefängnis entlassen wird, kann über sein Leben entscheiden“, erläuterte auf der Pressekonferenz Pawel Masalski, der selbst drei Jahre wegen Homosexualität inhaftiert war. „Die Homosexuellen bilden die unterste Stufe der Gefangenen-Hierarchie, müssen die schmutzigsten Arbeiten verrichten. Sie werden von anderen Häftlingen vergewaltigt und müssen von deren Essensresten leben.“ „Das Hauptproblem bildet die niedrige sexuelle Kultur unserer Gesellschaft überhaupt“, meinte Wladimir Ortanow, Chefredakteur der Zeitschrift Risk. „Erst jetzt können wir an eine gezielte Aids-Prophylaxe denken, denn viele Schwule wagten sich bis heute nicht einmal zu einem Arzt, vor allem in der Provinz.“

Das Bewußtsein der Bevölkerung gegenüber Homosexuellen außerhalb der großen Städte wenigstens auf Moskauer Niveau zu heben, ist das Hauptziel für Jewgenija Debrjanskaja, die für die Moskauer Lesben und Schwulen bei den nächsten Wahlen kandidieren will. Schon wird in Moskau die Gründung eines einschlägigen Cafés ins Auge gefaßt, für Anfang nächsten Jahres ist eine große Ausstellung über Homosexualität in der russischen Kunst geplant. Pawel Masalski kommt angesichts solcher Projekte ins Schwärmen: „Bald werden wir mit unseren Partnern Wohnungen mieten und normal leben können.“ Jewgenija Debrjanskaja faßt zusammen: „Das ist der Anfang vom Ende der Angst.“ Barbara Kerneck