„Genozid mit deutschen Waffen“

Gewerkschafter besuchte Kurdistan / Deutsche Waffen weiterhin gegen Kurden eingesetzt  ■ Von Marco Carini

„Wir befürchten einen Genozid am kurdischen Volk mit deutschen Waffen“, faßt Jürgen Bischoff, freier Autor und Vorstandsmitglied der Hamburger Ortsgruppe der Deutschen Journalisten- Union, (DJU) die Eindrücke der Reise durch die kurdisch dominierten Gebiete der Türkei zusammen. Sechs Tage lang, vom 22. bis zum 28. Mai, hat er zusammen mit 33 KollegInnen aus verschiedenen Gewerkschaften den Südosten der Türkei bis hinunter zur syrischen Grenze bereist.

Vier VertreterInnen der DJU sind mitgefahren, um sich über die allgemeine Lage in Türkisch-Kurdistan, vor allem aber über die Arbeitsmöglichkeiten der Medien und die bekanntgewordene Ermordung von mindestens 14 Journalisten durch die Todesschwadronen und durch Kräfte der islamischen Hisbollah im vergangenen Jahr zu informieren.

Was es heißt, in der Türkei journalistisch zu arbeiten, haben die DJUlerInnen am eigenen Leib zu spüren bekommen. „Wir standen unter permanenter staatlicher Überwachung und sind mehrfach mit Waffengewalt gehindert worden, mit der kurdischen Bevölkerung Kontakt aufzunehmen“, berichtet Bischoff.

Als die Gewerkschaftsdelegation die Ruinenstadt Hasankyef besichtigen wollte, wurde ihr von einer bewaffneten Einheit der paramilitärischen „Jandarma“ untersagt, zu fotografieren und mit den Bewohnern zu sprechen. Während der gesamten Visite hatten knapp 40 Soldaten, die sich auf den umliegenden Hügeln verteilt hatten, die ungebetenen Besucher im Visier ihrer G3-Gewehre, made in Germany. Am Tag nach der Auseinandersetzung von Bingol, wo am 24. Mai 32 türkische Soldaten bei einem Feuergefecht mit PKK-Guerillas ums Leben kamen, mußte die deutsche Delegation nicht weniger als 13 Militär- und Polizeikontrollen über sich ergehen lassen, die sie im Schnitt jeweils eine halbe Stunde in Anspruch nahmen. Die Patrouillen versuchten erfolglos, die GewerkschaftlerInnen vom Besuch der Stadt Sirnak abzuhalten, die 1992 bei einem Angriff der Militärs zu großen Teilen zerstört worden ist.

Jürgen Bischoff: „Die ganze Stadt war abgeriegelt von mit Maschinenpistolen bewaffneten Sondereinheiten des Militärs. Wir konnten mit den Einwohnern nicht sprechen, weil wir uns unter ständiger Polizeibegleitung befanden. Die Menschen wirkten verängstigt und eingeschüchtert; wenn wir versuchten, auf sie zuzugehen, drehten sie sich ab, aus Angst, mit uns unter den Augen der Soldaten und der Polizei zu sprechen.“ Der 38jährige Journalist hatte „nicht das Gefühl, durch eine Provinz der Türkei zu fahren, sondern durch ein von Militärs besetztes Land.“

Im Zentrum von Sirnak entdeckten die GewerkschaftlerInnen zwei Panzer aus den Beständen der Nationalen Volksarmee, deren Geschützrohre auf die äußeren Stadtteile gerichtet waren. Es sollten nicht die einzigen Waffen aus Deutschland bleiben, die der Delegation begegneten. Am 28.Mai, dem Tag, an dem die türkische Regierung die Schießereien von Bingol zum Anlaß nahm, eine Offensive gegen die PKK-Guerillas bis zu deren endgültiger Zerschlagung zu verkünden, passierte der Gewerkschaftsbus einen Militärkonvoi. „Wir konnten beobachten, wie eine zweistellige Anzahl von Leopard-1-Panzern und kleineren Nato-Schützenpanzern auf Militärlastwagen der Firmen MAN und Mercedes von der Stadt Diyarbakir in den kurdisch dominierten Südosten der Türkei verlegt wurden“, erzählt Jürgen Bischoff. Bei fast allen Straßenkontrollen wären deutsche Waffen zum Einsatz gekommen. Bischoff: „Neben der Tatsache, daß praktisch alle Jandarma-Einheiten deutsche G3-Gewehre benutzen, sind die sogenannten Dorfschützer – Bürgerwehren, in die die Menschen zwangsverpflichtet werden – mit Kalaschnikows bewaffnet, die nach unseren Informationen ebenfalls aus deutschen Lieferungen stammen. Die türkischen Behörden haben aber versucht, uns davon abzuhalten, genauere Untersuchungen anzustellen.“

Die DJU hat sich unmittelbar nach Abschluß der Türkeireise an Außenminister Klaus Kinkel gewandt, ihn aufgefordert, wegen des ständigen Einsatzes deutscher Waffen in den kurdischen Gebieten bei der türkischen Regierung vorstellig zu werden. Die Türkei hatte sich vertraglich verpflichtet, von Deutschland gelieferte Waffen nicht mehr im Innern, sondern nur noch gemäß des Nato-Auftrags zur äußeren Verteidigung einzusetzen.

Bischoff: „Nach unseren Beobachtungen unterläuft die Türkei diese Verträge permanent. Wir haben Klaus Kinkel deshalb ersucht, durch die Entsendung von Beobachtern in die Region sicherzustellen, daß deutsches Kriegsmaterial nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird.“ Zudem hat die DJU den Bundesminister aufgefordert, sofort jegliche Waffenlieferungen an die Türkei zu stoppen. Nicht nur Bischoff befürchtet, daß „die Großoffensive gegen die PKK in einem blutigen Massaker endet, bei dem deutsche Waffen eine entscheidende Rolle spielen werden.“ Anzeichen, daß die türkische Regierung es ernst meint mit dem angekündigten Vergeltungsschlag gegen die militanten Kurden, gibt es für die 34 Gewerkschaftler zur Genüge. Sie haben auf dem Militärflughafen Diyarbakir startbereite Starfighter und Kobra-Hubschrauber beobachtet und gesehen, wie an den Militärstützpunkten, die sie passierten, Arbeiten zur Absicherung vorgenommen wurden. Der Vorsitzende des Menschenrechtsvereins in Diyarbakir berichtete der Delegation, daß allein seit der Verkündung des Waffenstillstands durch die PKK vor zwei Monaten 44 kurdische Dörfer von Jandarma- und Militäreinheiten zerstört wurden und mindestens 105 Kurden dabei ums Leben kamen. Jürgen Bischoff: „Nach allem, was wir beobachten konnten, droht in den türkischen Provinzen Kurdistans ein Genozid wie Anfang des Jahrhunderts an den Armeniern.“