Rollbemopst

■ Gestern mittag: großes „Blaumeier“-Eröffnungsspektakel / Viel Feier, viel Ehr, viel mehr

Manche der „Blaumeiers“ mögen es nicht, wenn ihre Spektakel in poetisch besoffenen Hymnen gefeiert werden. Manche der „Blaumeiers“ hätten es lieber nüchtern. Habe mich also entschlossen, mich diesmal vor der Eröffnungszeremonie mit Rollmops vollzustopfen, um mich gegen Trunkenheit zu immunisieren. Na wartet nur, Blaumeiers, diesmal kriegt Ihr mich nicht. Ich sehe nur Menschen in Haufen, sehe ein Podium, ein Mikrofon, sehe auch einen älteren Mann, der in zitternder Ruhe auf seinen Auftritt zu warten scheint. Kein Wölkchen am Himmel, kein Glimmer im Hirn.

Plötzlich: lauter Frauen in Schwarz auf einer Bühne, fangen zu singen an: „Wenn alle Brünnlein fließen...“ Rollmops, wo bleibt deine immunisierende Wirkung? Jetzt stellen sich Männer in Schwarz hinter dem Sitzenden auf, und der hebt an: „Wenn ich die blonde Inge abends nach Hause bringe...“ Wer hat behauptet, Hans Albers sei tot? Darf man vor dessen gicksendem Tenor nicht schmelzend in die Knie gehen, Ihr nüchternen Verrückten, die Ihr doch „blau“ in Eurem Namen tragt? Aber Ihr kriegt mich nicht, Ihr kriegt mich nicht.

Auch Euer in Packpapier verpacktes Haus — was hat das zu bedeuten? Mir doch egal. Wird wohl nicht fertig geworden sein. Wer sägt da oben rechts von innen durchs Papier? Und links? Was tut sich da? Ein Gitter aus Papier wird abgerissen, dahinter eine Maske, ein zartes Händchen streicht die Geige. Jetzt wieder oben rechts — die Säge hat ein Fenster aufgeschlitzt, ein Maskenmensch drängt sich hervor, hievt eine Schreibmaschine hoch und tippt Musik.

Ach, Ihr habt selber schuld. Was denkt Ihr Euch auch Sachen aus, die einen heiß erwischen! Jetzt surrt ein Elektrobohrer durchs Papier, ein Fenster nach dem anderen wird geöffnet, und hinter jedem sitzt bedächtig ein Blaumeier wie er leibt und lebt, mit seiner Maske, und macht Musik: Ganz langsam wächst da ein Konzert — für Geige, Bohrer, Schreibmaschine, Akkordeon, Pauke und Trompete. Und jetzt — hört auf! — steht auf dem Dach ein Maskenweiblein und streut Konfettiwolken in den Hof. Auf uns, die wir schon wieder hingerissen sind. Auf mich, die sich geschworen hat, das Lallen sein zu lassen. Und deshalb hüte ich nur meine drei Konfettischnipsel und schweige still. Sybille Simon-Zülch