: Rennstrecke mit Zielgerade
■ Berlins schlimmste Straßen (5): Die Brunnenstraße in Mitte und Wedding animiert zum Rasen und liegt berlinweit auf Platz 7 bei den Geschwindigkeitsübertretungen
Gleichsam einer Rennstrecken- Kurve in die Zielgerade biegen viele Autofahrer um das stumpfe Eck, an dem die Badstraße zur Brunnenstraße wird. Von dort aus sehen sie bereits die Spitze des Fernsehturms auf dem Alexanderplatz und donnern ihm fröhlich entgegen. Anders ist es kaum zu erklären, daß die Brunnenstraße auf Platz 7 bei den durchschnittlichen Übertretungen der erlaubten Höchstgeschwindigkeit liegt.
Deutlich schneller als die als tolerierbar geltende Grenze fährt die überwiegende Mehrheit durch den Wedding in Richtung Mitte und zurück. Das ist ein Ergebnis der „Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr“.
Selbst das U-Bahn-Fahren kann hier kaum guten Gewissens empfohlen werden: Wer ahnungslos die Bahn an der Station Voltastraße verläßt, sieht sich oben mit der traurigen Wahrheit konfrontiert. Der Ausgang liegt im Mittelstreifen, zu beiden Seiten flitzen Autos zweispurig vorüber. Die Zebrastreifen, die BVG-Kunden eine sichere Überquerung ermöglichen sollen, werden kaum beachtet.
Vielleicht ist es die Freude, die ehemalige Grenze entlang der Bernauer Straße so ungehindert passieren zu können, die viele auch in die Gegenrichtung rasen läßt. Daß sie dabei auch am ehemaligen AEG-Werkstor vorbeizischen, ohne es eines wohlverdienten Blickes würdigen zu können, wird die meisten ebensowenig interessieren wie die Belange der Fahrradfahrer. Der Ritt auf dem Drahtesel ist in der Brunnenstraße nicht minder gefährlich als ein gemütliches Picknick auf der Autobahn.
Nur schwer ist noch vorstellbar, daß die Straße ihren Namen durch den Gesundbrunnen erhielt, den König FriedrichI. zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Dörfchen Weddinge ausmachte. Näher liegt mittlerweile die Vermutung, daß ein hohler Kopf so lange zum namengebenden Brunnen rast, bis er bricht oder bis das sprichwörtliche Kind in selbigen fällt.
Und Kinder und Jugendliche müssen die Rennstrecke häufig kreuzen: In unmittelbarer Umgebung liegen drei Grundschulen, eine Kindertagesstätte, zwei Jugendfreizeitheime und zwei Gymnasien. „Alle, die mit dem Fahrrad kommen, sind total daneben“, berichtet Thomas Fuhlrott, Honorarkraft im Jugendzentrum „Grafitty 65“, schließlich sei „auf ewig langer Strecke kein Fahrradweg“. Begrenzungsschilder würden offensichtlich „als unverbindliche Empfehlung des Verkehrsministers“ angesehen: „Die rasen, als hätten sie den Verstand verloren, aber das ist ja nicht nur in der Brunnenstraße so.“ Christian Arns
In der nächsten Folge raten wir von der Stralauer Allee ab.
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