Vorschlag

■ „kritische aids diskussion“ in den Kunst-Werken

In der Öffentlichkeit wird Aids zunehmend ästhetisch ausdifferenziert, in Alltagskultur überführt und dort schlimmstenfalls zum Spektakel für eine neu zu gestaltende Aufklärung über die Wahrheiten der Sexualität erklärt. Das mit „Aids als Metapher“ aufgeworfene Image läßt in der Betrachtung nicht einmal mehr Brüche zu, der erweiterte Kreis um die Betroffenen schließt sich mit den Reklamewänden von Benetton. Vielen HIV-Infizierten fällt es allerdings immer schwerer, ein solches Krankheitsbild als vage symbolischen Gesellschaftsfaktor zu akzeptieren. Die Erforschung des Virus ist noch längst nicht geklärt, die Medikamente zur Eindämmung der Krankheit gelten als gefährlich – das Arzneimittel AZT enthält zellular wirkende Gifte, deren schädigende Folgen überhaupt nicht abzusehen sind. Diese fragwürdige Korrespondenz von kultureller Weitschweifigkeit und fehlender Information haben Douglas Crimp und Adam Rolston in ihrem Text „Aids Demo Graphics“ kritisiert: „Kulturelle Blindheit ist die Komplizin sozialer Gültigkeit.“ Daß die Umkehrung ebenso zutrifft, kommentiert Wolfgang Max Faust, wenn er in einer Rezension für zitty an einer Installation der amerikanischen Künstlergruppe General Idea bemängelt, sie habe AZT aus dem Zusammenhang gerissen und mit 1825 perfekt vergrößerten Pillen zu einem ästhetischen Gegenstand gemacht. Soweit der Kunstkontext.

Während sich nun Act Up um eine breitgefächerte Alternative in ihrer Öffentlichkeitsarbeit bemüht, versucht die „kritische aids diskussion“ über den diffusen und meistens im dunkeln verbleibenden Forschungsstand zu informieren. Doch dieses Unterfangen birgt Probleme. Die Virustheorie von Peter H. Duesberg etwa, die bei den Ursachen für Aids von Drogenkonsum ausgeht, ist zumindest wissenschaftlich attackiert und mit Artikeln in der Los Angeles Times widerlegt worden. Auch in Berlin ist man gegenüber seinen Thesen skeptisch, will aber wenigstens in Frage stellen, ob von der anderen Seite nicht aus einer Ordnungs- und Kategorisierungswut heraus eine Vielzahl von verschiedenen Krankheiten unter dem Begriff Aids subsumiert und gleichgeschaltet worden ist. Gerade ein übergeordneter, die Diskussion regulierender Wissenschaftsbegriff steht für die „kritische aids diskussion“ zur Debatte. Eine der Forderungen besteht vielmehr darin, sich weder Denken noch Wissen um den eigenen Körper durch Institutionalisierung und Verwaltung nehmen zu lassen. Auch ein Aids-Test sei letzten Endes irreführend, weil er die medizinisch gesicherte Transparenz an die Stelle eines selbstbewußten Umgangs mit Sexualität und dem Körper setzt: „Uns geht es nicht nur um eine Dekonstruktion der gängigen Forschungsmechanismen, sondern um die Wiedereinführung einer Praxis, zumindest auf der Ebene der Sprache“, erklärt Stefan Geene, der die Veranstaltung in den Kunst-Werken organisiert hat. Sprache bedeutet in diesem Zusammenhang, Möglichkeiten zur Kommunikation in einem fast schon abgeschlossenen System auszuprobieren, von dem beim Großteil der Gesellschaft, wenn überhaupt, nur ein Bild von Verfall und Leid angekommen ist. Harald Fricke

Ab 20 Uhr in den Kunst-Werken, Auguststraße 69.