Öffentliche Bedürfnisse in privater Hand

■ Die 290 städtischen Toiletten werden privatisiert / Sechs Bewerber stehen Schlange

Wer kennt sie nicht, diese Situation: Gerade hat man die Wohnungstür hinter sich zugeschlagen oder das Restaurant verlassen, um keine fünf Minuten später festzustellen, daß man eigentlich noch mal „gemußt“ hätte. Damit beginnt die Suche nach einem geschützten Platz für das kleine oder große Geschäft, nach einer „öffentlichen Bedürfnisanstalt“.

Kein leichtes Unterfangen, wenn Mann oder Frau gerade im Osten der Stadt unterwegs ist. Stille Örtchen sind hier eher dünn gesät. Treptow, Hellersdorf und Marzahn – Bezirke mit über 100.000 Einwohnern – haben beispielsweise gerade mal je ein öffentliches Klo.

Insgesamt gibt es in Berlin 290 Toiletten, die die Stadt jährlich über 30 Millionen Mark an Reinigung, Wartung und Reparatur kosten. Weil der Berliner Haushalt aber sparen muß, sollen die Klos nunmehr in private Hand übergeben werden. Bislang verwalten sie noch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR). Drei Modelle zur Kostensenkung wurden seit fast einem Jahr diskutiert, letztlich entschied man sich für die Privatisierung. Nächsten Mittwoch wird der Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses darüber befinden, welche der sechs Bewerberfirmen den Zuschlag für die Ausschreibung erhalten wird. Unterderhand wird allerdings gemunkelt, daß es die Berliner Firma Wall sein wird, die sich künftig um die Hinterlassenschaften der Berliner kümmern soll.

Geplant ist, in den kommenden zwei Jahren 120 alte Toiletten durch moderne, behindertengerechte „Ruhezonen“ zu ersetzen. Von 1996 bis 1997 werden dann noch einmal 150 neue hinzukommen. Dadurch sollen pro Jahr immerhin rund 20 Millionen Mark eingespart werden, da Wall die selbstreinigenden Vollautomatik- WCs stellt. Im Gegenzug bekommt die Firma wiederum Rechte an Werbeflächen. Zusätzlich will der Senat jährlich der Firma zwischen fünf und sieben Millionen Mark zuschießen. Die Einnahmen aus der Benutzergebühr für die neuen Häuschen – eine 15minütige Sitzung kostet 50 Pfennig – werden allerdings an den Senat gehen. Daniel Wall, Geschäftsführer der WC-Firma, setzt alles daran, den Zuschlag zu erhalten. Schließlich, so Wall, liefen bereits die Planungen für ein Produktionswerk im brandenburgischen Felde. Man sei auch bereit, Mitarbeiter der BSR zu übernehmen und auf die komplizierte, durch Mikroprozessoren gesteuerte Technik zu schulen. Im übrigen sei die Situation der Bedürfnisanstalten in Berlin geradezu grauenvoll. Normalerweise müßte auf 10.000 Einwohner mindestens eine öffentliche Toilette kommen. Mancherorts ist nach Angaben von Wall das Verhältnis eins zu 160.000.

Freunde und Fans der alten „Achteck-Cafés“, die Ende des letzten Jahrhunderts in Berlin gebaut wurden, brauchen sich keine Sorgen machen, daß die traditionsreichen Klos aus dem Straßenbild verschwinden. Nach Auskunft des Landeskonsevators Helmut Engel werden die Achtecks aller Voraussicht nach in einem Vertrag zwischen der BSR und dem zukünftigen Betreiber unter Denkmalschutz gestellt. Auch Daniel Wall, der zwar diese Toiletten nicht mehr zeitgemäß findet, möchte sie erhalten: „Wir lassen uns nicht zum Killer der Achtecks machen.“

Der lange Streit um die Privatisierung und die Vergabe hat bereits ein erstes Opfer gefordert. Noch während der laufenden Verhandlungen zwischen Senat und BSR wurde am Kottbusser Tor die dortige öffentliche Toilette abgerissen, ein Neubau nicht mehr realisiert. Die mobile Miet-Toilette eines Privatanbieters, die von der BSR im Gegenzug angeboten worden war, lehnte der Bezirk ab: Sie sollte 1.000 Mark pro Tag kosten. Nun hofft das Bezirksamt auf eine schnelle Entscheidung des Senats, damit bald High-Tech-Häuschen die Treppenhäuser und Aufgänge ersetzen, auf denen derzeit die Drogenszene vom „Kotti“ ihre Notdürfte verrichtet. Jörg Welke