Aids, Kultur, Sponsoren etc.
: Spiegel des gelebten Lebens

■ Der Diskurs um Aids trägt einige Züge einer sozialen Sprache der Zukunft

Aids, hat eine Champagnerfirma verlauten lassen, passe mit ihrem Produkt nicht zusammen. Deshalb wolle sie die Aids Culture Conference, die an diesem Wochenende in Berlin beginnt, nicht unterstützen.

Gemeint ist natürlich das Gegenteil. Der Champagner soll nicht infiziert werden mit einem Virus, dessen Weg der Verbreitung gewiß, dessen soziale Kraft aber noch nicht abzuschätzen ist. Glauben die einen. Die anderen partizipieren bereits an der Vorstellung, aus der die Krankheit, kulturell gesehen, besteht. Der italienische Kleidergigant Benetton und die Programmzeitschrift Prinz engagieren sich in Berlin. Sie spenden, wohlgemerkt, nicht für die Forschung, und sie investieren auch nicht in die Sterbeabteilung eines Krankenhauses. Sie fördern, wie es sich gehört, Kultur.

Es ist nicht der „Erfolg“ des Virus, seine Verbreitung, die ihm die Aura des Kulturellen verleiht. Was die Statistiken angeht, ist Aids nicht konkurrenzlos. Dennoch ist nirgendwo Verdis „Requiem“ zu Ehren der Unfalltoten gespielt worden, und Krebs ist eine Krankheit der weißen Kittel, der unheimlichen Apparate geblieben. Es gibt keine Krebskranken-Fotografie, kaum filmische Dokumente der Leidenswege, keine gigantischen Ölgemälde zum Thema, keine Krebs-Oper und nicht mehr als einen Roman eines Betroffenen, der als ernsthafte Literatur diskutiert worden wäre.

Aids, so schien es vor zehn Jahren, würde den Großteil der Früchte der Emanzipation dahinraffen. Den Frauen würde die Pille nichts mehr nutzen, die Jugendlichen würden sich ängstlich von den Versprechen bejahter Libido abwenden, und die Schwulen würden dahinsterben, gefürchtet und geächtet wie die verunstalteten Träger der Pest im Mittelalter. Am Ende hätte die religiöse Rechte Amerikas recht gehabt, wenn sie die Klientel der Revolte mit einer Lustseuche alttestamentarischen Ausmaßes bestraft sehen wollte.

Es ist anders gekommen. Nicht, weil der HI-Virus auch einen rechtsreligiösen Bluter erreicht und somit seine globale Dimension unter Beweis gestellt hätte („Vor Aids sind alle Menschen gleich“). Sondern weil die Codierung von Aids durch jene gesellschaftlichen Gruppen vorgenommen worden ist, die mit der tödlichen Krankheit am meisten zu tun hatten und haben, und das sind in Amerika und Europa vor allem die Schwulen. Sie sind durch Aids dicht an den kulturellen Mainstream herangerückt. Sie haben sich ihrerseits etablierter Codes bedient und sie Aids eingeschrieben.

Aids ist strukturiert wie eine Sprache. Das hat Lacan vom Unbewußten behauptet, und Aids lebt von der Nachbarschaft. Die schwule Community hatte ihre Lüste systematisch beschrieben und ritualisiert, als Aids kenntlich wurde. Mapplethorpe ist ein gutes Beispiel. In seinen Fotografien hatte er die Varianten schwuler Lust kodiert und gleichzeitig vorgeführt, daß es eine Verbindung zur Sublimation gibt, also zum Ursprung des Kulturellen. In dem Moment, wo der multiple Sex zur Gefahr wurde, schwappte der schwule Diskurs in den kulturellen Mainstream. Wer kein Brett vor dem Kopf trägt, erschrickt nicht mehr vor dem Bild eines steifen Schwanzes.

Aids ist ein kulturelles Esperanto. Die Kunstsprache hat sich nie durchgesetzt, weil, wer sie sprach, selten jemanden traf, der sie auch sprach. Die biologische Expansion, die der Virus mit sich bringt, präfiguriert die Verbreitung einer sozialen Sprache. Weil der Diskurs zu Aids von bestimmten Gruppen geprägt ist, ist er auch sozial verankert. Von den Schwulen kommt die Eigenart, das Feierliche als Ritus zu sehen, nicht als Gesetz. Wo das Lachen nicht angebracht ist, kann man immer noch Augenzwinkern. Von den Prostituierten kommt die professionelle Coolness. Von der Kulturelite kommt die Neigung, das eigene Schicksal als exemplarisch zu begreifen und zu überhöhen.

Aids ist das Modell einer Umkehr. Der skrupellose Reaganismus war eine biblisch getarnte Praxis der Expansion, die jede Erkenntnis in Gewinn umzurechnen versuchte. Die Schwulen haben gezeigt, daß eine Rezession in der sexuellen Praxis abgekoppelt werden kann von der Erstickung aufgeklärter Diskurse. Das rettet auch die Aufklärung: sie bleibt ein Vehikel der Lust. Die Reagansche „Gier“ („greed“), das Markenzeichen der Achtziger, bleibt stehen als Bauruine des 20.Jahrhunderts.

Aids ist eine schöne Frau. Zu den Bildern westlicher Kultur gehört die schöne Frau, deren Schönheit Fassade ist: Auf der Rückseite geht sie in Verwesung über, trägt die schwarzen Schwären des Todes. Aids ist in etwa das umgekehrte Modell. Sich der Maske des Todes nähernd, entdeckt der Kranke, daß die Rückseite eine Verheißung birgt. Es ist nicht nur das Feierliche des Abschieds, es sind nicht nur die großen Gesten tiefer Freundschaften. Die Verheißung, das rückwärtige Gesicht, ist auch der Spiegel des gelebten Lebens, fast das Gegenteil der Vorstellung einer Strafe. (Wer an Krebs stirbt, stirbt „an sich“; wer an Aids stirbt, hat „es empfangen“.)

Mutig sind die Leute bei Benetton und Prinz, weil sie nicht vor der Krankheit kuschen, die selbstverständlich brutal und traurig bleibt für alle, die mit ihr umgehen müssen. Aber die Sponsoren sind auch schlau, an diesem Punkt ihre awareness zu demonstrieren. Der kulturelle Kommentar zu Aids wird in Gold auf schwarzen Stein geschrieben. Wer das Erhabene nicht scheut, hat nichts zu fürchten. Ulf Erdmann Ziegler