Vertrauen bleibt auf der Strecke

Zwangstests und Internierung drohen den Aidskranken in Norwegen – die Novellierung des Seuchengesetzes, die Aids mit Tuberkulose in einen Topf wirft, macht es möglich  ■ Aus Oslo Nils Myklebost

„Sie haben Aids!“ schrie der Sanitäter, als der Ambulanzwagen mit Trine Sivertsen (Name geändert) und ihrem Mann vor der Notaufnahme hielt. Beide waren bei einem Autounfall schwer verletzt worden. Es ist fünf Jahre her, seit dieser Unfall das Leben des Ehepaares von grundauf verändert hat. Nach dem Zusammenprall war sie mit einer gebrochenen Hüfte in die Klinik der kleinen norwegischen Stadt Mo i Rana eingeliefert worden. Als sie den Sanitätern offenbarte, daß sie HIV-positiv ist, gerieten diese in Panik. Trine Sivertsen wurde sofort von den anderen PatientInnen isoliert. In den ersten Tagen mußte sogar ihr Mann für sie sorgen; das Pflegepersonal berührte sie nur mit Plastikhandschuhen. Erst als sich die Krankenhausangestellten nach einigen Wochen überzeugt hatten, daß Aids nicht so einfach übertragbar ist, behandelten sie die Frau wie die anderen PatientInnen. Dennoch sollte ihr Leben niemals wieder so werden wie bisher.

Ein Beispiel, das in Norwegen schon bald zum Normalfall werden könnte – dann nämlich, wenn die sozialdemokratische Regierung ihren Entwurf zum neuen Seuchengesetz durchbringt. Nach dreijähriger Beratung stellten die PolitikerInnen ihn vor zwei Wochen vor. Bis zum Jahresende soll die Gesetzesnovelle das Parlament passiert haben. Das Gesetz soll es nicht nur möglich machen, ÄrztInnen von ihrer Schweigepflicht zu entbinden und zu HIV-Zwangstests zu ermächtigen, sondern auch, HIV-Positive und Aidskranke zu internieren. Entgegen dem geltenden Seuchengesetz, das aus dem vergangenen Jahrhundert stammt, unterscheidet die Novelle nicht zwischen Aids und anderen Ansteckungskrankheiten wie Cholera, Tuberkulose oder Meningitis. Halten sie es für notwendig, dürfen ÄrztInnen HIV-PatientInnen dann sogar internieren – für drei Wochen, sechs Wochen oder sogar ein ganzes Jahr.

Protestierende Aids-Organisationen, Schwulen- und Lesbenverbände und Prostituiertengruppen verweisen auf das Nachbarland Schweden, dessen Seuchengesetz den norwegischen Sozialdemokraten als Modell dient. Derzeit sind dort etwa 15 Personen in Krankenhäusern isoliert, wo sie im sogenannten „gelben Haus“ auf ihre Freilassung warten.

Jarl Waage, Vorsitzender der HIV/Aids-Hilfsorganisation PLOSS ist grundsätzlich nicht gegen eine Reform des Seuchengesetzes. „Es ist jedoch unmöglich, HIV auf dieselbe Stufe mit Tuberkulose zu stellen“, sagt er. Niemand habe sich je mit HIV infiziert, nur weil er mit einem Aidskranken den Raum geteilt habe. „Durch die Androhung der Internierung würde man doch nur riskieren, daß HIV-Positive untertauchen und daß Risikogruppen gar nicht mehr wissen wollen, ob sie sich infiziert haben, weil sie Angst davor haben, wie Aussätzige behandelt zu werden.“ Schon jetzt werden HIV-Träger in Norwegen interniert, wenn ihnen nachgewiesen wird, daß sie ihren SexualpartnerInnen die Krankheit verschweigen. „Wenn wir erlauben, daß die ärztliche Schweigepflicht demnächst aufgehoben wird“, so Waage, „zerstören wir die Vertrauensbasis, auf der die ganze Aids-Prävention steht.“ – auch, wenn es derzeit schon genügend Beispiele für Vertrauensbruch gibt, wie der Fall Trine Sivertsen zeigt.

Wenige Tage nach ihrem Unfall berichtete die lokale Zeitung von der verletzten, HIV-positiven Patientin im Krankenhaus von Mo i Rana. JedeR wußte, wer damit gemeint war. Beide Ehepartner verloren ihren Job, ihre FreundInnen und sahen sich schließlich sogar gezwungen, sich eine neue Heimat zu suchen. Ihr Haus, das im Ort jedeR als „HIV-Haus“ bezeichnete, konnten sie nur mit schweren Verlusten verkaufen.

Kjetil Tveitan aus dem norwegischen Sozialministerium ist der Meinung, daß einer Frau wie Trine die Gesetzesnovelle nur zugute kommen würde. Er war an ihrem Entwurf maßgeblich beteiligt. „Das Gesetz“, findet er, „bevorteilt die Infizierten, weil es klar definiert, was ihnen zusteht.“ Das Kapitel, das die Rechte der HIV- positiven bestimme, sei beispielsweise länger als irgendein anderes. Es sichere den HIV-Infizierten mehr Hilfe zu als anderen kranken Menschen – etwa die kostenlose Betreuung. „Das neue Gesetz wird auf keinen Fall Berufsverbot für Aidskranke vorschreiben“, erklärt der Sozialdemokrat.

Zwangsmaßnahmen, glaubt Tveitan, werden wohl nur in ganz wenigen Fällen nötig sein. Er erklärt, daß die Norweger im Gegensatz zu den Schweden nicht glauben, daß die Isolation von Aidskranken einen bedeutenden präventiven Effekt hat. „Warum sie dann gesetzlich verankern?“ fragen viele. Doch im Parlament sind es zu wenige, um die Novelle zu stoppen. Mit Ausnahme der Sozialistischen Linken hat sie die Rückendeckung nahezu aller ParlamentarierInnen.

Trine Sivertsen fürchtet sich davor, daß das neue Gesetz ihr Leben und das vieler anderer Betroffener schwerer macht, als es ohnehin schon ist. Trotz der strengen Schweigepflicht, der norwegische ÄrztInnen derzeit noch unterliegen, hat sie erlebt, was es heißt, geächtet zu werden. Wie, fragt sie sich, wird es wohl erst werden, wenn das neue Gesetz ihnen auch noch den letzten Vertrauensschutz wegnimmt?