Politisches Chaos in Guatemala

■ Die Angst vor einem offenen Militärputsch geht um

Guatemala-Stadt (taz) – Die Situation in Guatemala könnte nicht verworrener sein. Im salvadorianischen Exil beteuert ein gestürzter Präsident, er betrachte sich noch immer als legitimen Staatschef. Ein ehemaliger Vizepräsident, Gustavo Espina, der am Dienstag gleichfalls seinen Rücktritt eingereicht hatte, will jetzt aber doch die Präsidentenschärpe überstreifen. Allerdings konnte er sich bisher nicht das nötige Quorum im Parlament sichern.

Schließlich ist da noch das Parlament, das von Serrano aufgelöst und von Espina wieder eingesetzt wurde, sich aber nun einem Selbstreinigungsprozeß von korrupten Abgeordneten unterziehen soll. Keiner weiß, wie das gehen soll. Denn, so meinte ein Diplomat, „in einer Höhle der Korruption wagt es keiner, den ersten Stein zu werfen“. So reift in dem zunehmenden Chaos immer mehr die Gefahr eines offenen Militärputsches heran. Die Wände des Kongreßgebäudes in der Innenstadt gleichen mittlerweile der Berliner Mauer in alten Zeiten: sie sind von oben bis unten mit Parolen vollgesprüht. „Nieder mit dem Militarismus“, „Nein zu Espina“, „Raus mit den korrupten Abgeordneten“, heißt es da. Davor forderte am Donnerstag eine mehrtausendköpfige Menge die Verurteilung Espinas wegen Verfassungsbruchs.

Tatsächlich hatte inzwischen die Staatsanwaltschaft eine Voruntersuchung gegen Espina, Serrano und Innenminister Perdomo eingeleitet. Dann tauchten bewaffnete Männer bei Generalstaatsanwalt Valladares auf, um den Funktionär zu verschleppen. Nur das rasche Einschreiten eines Menschenrechtsombudsmannes verhinderte das Kidnapping.

Gustavo Espina, der sich tags zuvor bereits im Parlament als Präsident vereidigen lassen wollte, sieht nun seine Felle davonschwimmen. Das diplomatische Corps folgte am Donnerstag einer Einladung des Möchtegern-Präsidenten nicht. Selbst die Armee, die ihre Unterstützung zugesagt hatte, ging auf Distanz. Ein Armeesprecher dementierte Putschgelüste des Militärs und erklärte, die Armee stehe zur Verfassung und nicht zu einer Person. Damit ist der Weg zu dem nach Serranos Absetzung geplanten Prozedere wieder offen: zur Wahl eines Ehrenmannes als Interimspräsident.

Wie aber soll das Parlament von korrupten Funktionären gesäubert werden? Die politische Macht ist in Guatemala traditionell ein Mittel zur Bereicherung. Eine echte Kampagne gegen die Korruption würde einer Selbstauflösung gleichkommen.

Doch die Guatemalteken werden langsam ungeduldig. „Demonstrieren bringt nichts“, meinte ein Ersatzteilhändler am Rande eines Protestmarsches, „aber wenn wir, die wir uns bisher nicht einmischen, uns einmal erheben, dann wird Blut fließen.“ Ralf Leonhard