■ Mit der Rezession auf du und du
: „Prinzip Hoffnung“

Berlin (taz) — Für Günther Rexrodt, den FDP-Wirtschaftsminister, befinden wir uns in der „tiefsten deutschen Rezession“. Das macht Angst, schließlich verbinden viele mit „tiefer Rezession“ die 30er-Jahre-Wirtschaftskrise. Die Wirtschaftsforschungsinstitute bemühen sich hingegen um Entwarnung: Es ist zwar Rezession, aber schon ab Juli, so das DIW, darf das „Prinzip Hoffnung“ gelten. Und das Ifo-Institut rechnet spätestens 1994 wieder mit Wirtschaftswachstum.

Angst und Hoffnung kreisen dabei um eine Quartalszahl: jene 3,2 Prozent an Wert von Waren und Dienstleistungen, die zwischen 1. Januar und 31. März 1993 weniger in Westdeutschland erwirtschaftet wurden als im gleichen Zeitraum 1992. In der Nachkriegszeit ist das der stärkste Quartalsrückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Westdeutschland. In Ostdeutschland hingegen wächst die Wirtschaft, wenn auch nur leicht. Von „tiefster deutscher Rezession“ sprach übrigens kein Politiker, als das Bruttoinlandsprodukt der (Ex-)DDR vom 1. Halbjahr 1989 bis zum 1. Halbjahr 1992 um gut 40 Prozent schrumpfte.

Die jeweilige Fortschreibung der Wachstumszahlen um ein Jahr blendet aus, daß die letzte Aufschwungs- und Boomphase mit zehn Jahren die längste der Nachkriegsgeschichte war und gleichzeitig die einträglichste. Für jede EinwohnerIn Westdeutschlands standen 1992 durchschnittlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 6.700 Mark mehr zur Verfügung als 1982. (Allerdings hat es in der gleichen Phase eine Umverteilung des Reichtums von unten nach oben gegeben, so daß das ärmste Drittel der EinwohnerInnen davon wenig mitbekommen hat.) Eine Rezession macht also dieses Land noch lange nicht arm.

Heißt das „Prinzip Hoffnung“? Für „die Wirtschaft“, gemessen am BIP, vielleicht, für die Arbeitslosen kaum. Die meisten Unternehmen sehen sich, außer im Konjunkturtal, in einer Struktur- und Kostenkrise. Die Talsohle sei mit Sicherheit noch nicht erreicht, sagte gestern der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHT), Hans Peter Stihl. Die Unternehmen seien „voll dabei, sich von der Kostenseite her anzupassen, das heißt, die Zahl der Beschäftigten zu vermindern“.

1993, schätzt darum einer der fünf Wirtschaftsweisen, Rüdiger Pohl, werde die Zahl der westdeutschen Arbeitslosen auf 2,3 Millionen steigen. Und anders als in vorhergehenden Konjunkturzyklen rechnen die meisten Experten, übrigens auch für die anderen Industrieländer, mit jobless growth, einem Wachstum ohne neue Arbeitsplätze. Nach Tiefe und Länge der Rezession entscheidet sich somit, wie viele der heute Beschäftigten beim nächsten Boom nicht dabeisein werden. Wann der beginnt, hängt – neben dem Prinzip Hoffnung und dem daraus erwachsenden Unternehmerwillen zu Investitionen – davon ab, ob und wann die Bundesbank die Zinsen senkt, die Rezession in anderen EG-Ländern endet (Export) und wie die Bundesregierung mit dem Haushaltsdefizit umgeht. Donata Riedel