Kostenloses Energiesparen in der Marzipanstadt

■ Der Lübecker Energiebeirat hat ein Konzept erarbeitet / 28 Prozent weniger Energieverbrauch und 31 Prozent weniger Kohlendioxid ohne Zusatzkosten

Berlin (taz) – In Lübeck könnten 28 Prozent Energie eingespart werden, ohne daß BürgerInnen oder Kommune mehr bezahlen müßten. Zugleich könnte der CO2- Ausstoß in der Hansestadt um 31 Prozent gesenkt werden. Das hat der von der Bürgerschaft eingesetzte Energiebeirat herausgefunden, der gestern seine Untersuchungsergebnisse vorstellte.

Würden in den historischen Mehrfamilienhäusern, in denen schon Thomas Mann und Toni Buddenbrook hausten, dichtere Fenster und andere Wärmedämmungen installiert, könnten sich die BewohnerInnen über eine 40 Prozent niedrigere Heizrechnung freuen. Das gesparte Geld reichte aus, um eben diese Maßnahmen zu finanzieren. Würde jeder Haushalt im Monat noch 6,50 Mark drauflegen, könnten sogar 77 Prozent der Heizleistung gespart werden. Und in den Bauten der 50er Jahre zieht es noch mehr durch die Ritzen, so daß sogar 81 Prozent weniger Brennstoff als heute vonnöten wäre. „Die Vermieter haben aber kein Interesse an Wärmedämmung, weil sie Kaltmiete kassieren. Für sie würden die Maßnahmen Kosten verursachen; sie könnten aber nicht von den niedrigeren Kosten profitieren. Hier müßte das Gesetz geändert werden“, fordert der Energiewirtschaftler Jürgen Franke, der zusammen mit zwölf anderen VertreterInnen aus Politik, Industrie und Wissenschaft die Untersuchungen durchgeführt hat.

Aber auch in Kasernen und Ämtern wird viel zuviel Wärme verbraucht: auf 54 Prozent schätzt die Arbeitsgruppe das Minderverbrauchspotential ein. „Wenn die Baumaßnahmen nach etwa 15 Jahren abgeschrieben sind, hätte Lübeck jährlich 2,3 Millionen Mark mehr zur Verfügung“, so Franke.

Viele Wasch- und Schreibmaschinen, Lampen und Mixer sind ebenfalls Energiefresser. Würden die LübeckerInnen ausschließlich sparsame Geräte einsetzen, müßte 27 Prozent weniger Strom durch die Leitungen fließen, ohne daß jemand auf einen einzigen Pudding oder sauberen Rock verzichten müßte. Und auch hier könnten die etwas teureren Geräte durch die niedrigere Stromrechnung voll bezahlt werden.

Durch den Energieminderverbrauch von 3.828 Gigawattstunden im Jahr und einen besseren Energiemix würden jedes Jahr 296.000 Tonnen Kohlendioxid weniger aus der Marzipanstadt in die Luft geblasen – das ist fast ein Drittel des heutigen Ausstoßes. Und sogar für den Arbeitsmarkt haben die BeraterInnen positive Effekte errechnet: 145 Menschen in Lübeck und 137 Personen in der Umgebung könnten bei Umsetzung der Vorschläge einen Job finden.

Am wenigsten Interesse an diesem Szenario dürfte die PreussenElektra haben, die einen Stromversorgungsvertrag mit den Stadtwerken bis zum Jahr 2007 im Tresor hat. Darin ist auch festgeschrieben, daß die Stadtwerke höchstens 10 Prozent Strom selbst herstellen dürfen. Der Energiebeirat fordert demgegenüber, daß die Stadtwerke sich an dem geplanten Kohlekraftwerk in Siems beteiligen sollen, damit sie dort Fernwärme rausziehen und auch die Preise mitbestimmen können. Trotzdem hofft Jürgen Franke auf Einsicht des Konzerns: „Die können nicht bis ins nächste Jahrtausend so weitermachen, sondern brauchen auch Feigenblatt-Projekte zur Imagepflege.“

Die Beiratsmitglieder stellten gestern zum Abschluß ihrer Arbeit die Forderung, daß eine mit 3,5 Stellen ausgestattete Klimaschutzstelle eingerichtet wird, die die Umsetzung der Pläne vorantreibt. „Die Bürgerschaft hat zwar schon die Institution beschlossen, nicht aber das Personal“, kritisiert Franke. So bleibe die 1991 unterschriebene freiwillige Verpflichtung Lübecks, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2010 um 50 Prozent zu reduzieren, bisher ein Lippenbekenntnis. Annette Jensen