: Der neue 218 ist völlig paradox
■ Eine Woche nachdem die Verfassungsrichter ihr Urteil zum Paragraphen 218 verkündet haben, lichtet sich die Verwirrung über ein widersprüchliches Urteil
Der neue 218 ist völlig paradox
In Karlsruhe selbst machten sie alle noch ein zufriedenes Gesicht. Die FDP-Politikerin Uta Würfel, die maßgeblich am Zustandekommen der Fristenregelung mit Zwangsberatung beteiligt war, strahlte. Ihre SPD-Kollegin Inge Wettig-Danielmeier äußerte sich verhaltener, aber grundsätzlich zufrieden mit dem Karlsruher Urteilsspruch. Das Urteil sei zwar „kein Sieg auf ganzer Linie“, lautete ihr Votum, Frauen hätten aber dennoch „einen Fortschritt errungen“.
Komisch nur, daß auch Klägerseite und Lebensschützer sich freuten. Ihnen gefielen vor allem die fundamentalistischen Formulierungen im Urteil, wie, der Staat dürfe sich an der Tötung ungeborenen Lebens nicht beteiligen und dürfe deshalb bei einer Abtreibung die Übernahme von Kosten durch die Krankenkassen lediglich in Ausnahmefällen erlauben.
Frauen aus der ganzen wiedervereinten Republik blieb erst mal die Spucke weg, als sie vom Urteil hörten. Immerhin atmen die Karlsruher Ausführungen den Geist von vorgestern, und das blieb keiner verborgen. Frauen werden darin zum bloßen Objekt des umfassenden Schutz- und Beratungskonzepts herabgewürdigt. Ihnen wird per Gesetz die Gebärpflicht auferlegt. So manche trat darauf kurzentschlossen in den unbefristeten Gebärstreik.
Politikerinnen wie die parlamentarische Geschäftsführerin der FDP-Fraktion Ina Albowitz, denken über ein „Schwangerschafts- Folgen-Haftungsgesetz“ nach, das Männer nach dem Verursacherprinzip für die Kosten einer Abtreibung in die Pflicht nehmen will. Und wieder andere gehen angesichts der gestrichenen Kassenfinanzierung pragmatische Wege: Sie gründen Sozialfonds. Berlinerinnen, darunter die ehemalige Frauensenatorin Anne Klein, gründeten zusammen mit der Berliner Ärztekammer eine bundesweite Frauenkasse.
Mit ihrer Hilfe soll Frauen, die nicht über ausreichende finanzielle Möglichkeiten verfügen, ab dem 16. Juni die Abtreibung per Zwangsberatungs- Fristenregelung ermöglicht werden. In die Frauenkasse, daß sei ausdrücklich vermerkt, dürfen und sollen natürlich auch Männer einzahlen.
Doch nicht nur die geplatzte Kassenfinanzierung erregte die Gemüter. Gut eine Woche nach der Urteilsverkündung ist weitestgehend immer noch unklar, wie sich der Karlsruher Spruch und die ab 16. Juni in Kraft tretende Übergangsregelung auf den Alltag auswirken wird. Die Beratung soll zwar „ergebnisoffen“, aber „zielorientiert auf den Schutz des Lebens hin“ sein. Frauen müssen, und das ist „unerläßlich“, ihre Gründe nennen – aber nicht unter Zwang. Wie das bewerkstelligt werden soll, darüber schweigen sich die Karlsruher aus.
Lediglich die Rahmenbedingungen wurden von ihnen bis ins Detail festgeschrieben. So müssen ab 16. Juni detaillierte Protokolle über jede Beratung geführt werden, in denen die Gründe der Frau für ihren Abtreibungswunsch ebenso enthalten sein müssen, wie die von BeraterInnen angebotenen Hilfen. „Rückschlüsse auf die Identität der Beratenen“ soll das Protokoll nicht möglich machen. Immerhin ist der Frau per Urteil die völlige Anonymität zugesichert. Doch ob diese in kleinen Beratungsstellen gewährleistet ist, bezweifelt Joachim von Baross, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbands von Pro Familia.
Immerhin soll das Protokoll ja auch Auskunft über Alter, Familienstand, Staatsangehörigkeit, vorherige Schwangerschaften und Abbrüche und die Kinderzahl geben. Daß die Beratung daher „für Frauen abschreckend wirken wird“ und zwar „stärker als bisher“, ist für von Baross klar. Und auch bei den künftigen Anerkennungsverfahren für Beratungsstellen muß Pro Familia – vor allem in Bayern – mit Schwierigkeiten rechnen.
Verwirrung über das Urteil herrscht aber auch in der Ärzteschaft. Daß Memmingen nun nicht mehr möglich sei, so das euphorische Urteil des Stuttgarter Arztes Friedrich Stapf kurz nach dem Urteilsspruch, relativierte sich längst, (siehe Interview).
Die gestrichene Kassenfinanzierung machte Stapf, der bisher in Baden-Württemberg als einziger Arzt ambulante Schwangerschaftsabbrüche durchführt, bei KollegInnen auf äußerst unerfreuliche Weise beliebt. Man erkundigte sich schon einmal vorsorglich nach den Kosten des Abbruchs auf dem freien Markt, um künftig für betuchte Damen adäquate Angebote parat zu haben.
Und obwohl der zweite Vorsitzende des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Gottfried Mahrenholz schon Anfang der Woche ausdrücklich klarstellte, daß Abtreibungen mit vorangegangener Beratung nach dem Urteil sowohl in öffentlichen als auch in privaten Kliniken vorgenommen werden können, herrscht Verwirrung in den Krankenhäusern. Manche Kliniken reagieren schon jetzt damit, daß Abtreibungen aus dem Repertoire des Angebots gestrichen werden. Mehr als 80 Prozent aller Abtreibungen in Westdeutschland wurden bislang in ambulanten Praxen durchgeführt. In Ostdeutschland fanden Schwangerschaftsabbrüche hingegen in erster Linie in Kliniken statt.
Manfred Wachsmann, Oberarzt am Magdeburger Walter-Friedrich-Krankenhaus, zeigt sich ebenfalls verwirrt vom Karlsruher Urteil. „Wenn eine Frau am 16. Juni zu mir kommt, und noch so händeringend fleht, sie könne das Kind nicht kriegen – ich kann ihr nicht helfen“, meint er. Unbekannt ist dem guten Mann sicherlich, daß auch Richterin Karin Grasshof, die das Karlsruher Urteil mit zu verantworten hat, längst klarstellte, Abtreibungen in Kliniken seien weiterhin möglich.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, bemängelt darüberhinaus, Karlsruhe habe ein „Halbrecht“ geschaffen. Der Arzt käme jetzt in die „merkwürdige Situation, daß er etwas rechtswidriges, aber straffreies tun muß“. Die Frage, welche ÄrztIn angesichts dieser Situation künftig noch Abtreibungen vornehmen wird, ließ er drohend im Raume stehen. Sein Berliner Kollege Ellis Huber findet für das Urteil markigere Worte: „Es stempelt den einzelnen Arzt zum Rechtsbrecher.“ Seiner Meinung nach wird das Urteil die „moralinsauren Kräfte in der Ärzteschaft“ mobilisieren. Dennoch geht er, ebenso wie die Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes, Inge Wolf, davon aus, daß die ÄrztInnen, die bisher Abbrüche vorgenommen haben, es jetzt auch weiterhin tun werden.
Karla Schälicke, niedergelassene Gynäkologin in Ostberlin läßt sich jedenfalls von dem Urteil nicht verunsichern. Sie hat die Zulassung beantragt, um ambulante Abbrüche in ihrer Praxis durchführen zu können. „Rechtswidrig heißt ja, daß Abtreibungen letztlich eine kriminelle Geschichte sind“, empört sie sich. „Ist doch komisch, da sollen Ost- Frauen bisher etwas gemacht haben, was Unrecht war! Das macht mich völlig wütend!“
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