piwik no script img

Stilblüten sehen dich an

■ „Design und Picknick“ im Park des Focke-Museums / Design-Expedition 1993: ein Sonntagsausflug zum Bremer Fachhandel im Grünen

“Hier sofort Picknick Foto's für DM 10!“ Oha. Die „Bremer Design-Expeditionen 1993“ haben nun endlich auf ihren Reisen in den unerforschten Kontinent der Sprache das Apostroph entdeckt als Mittel zur Irritation des eingefahrenen Denkens. Logisch. Designer reden ja längst nicht mehr vom ordinären Stuhl, vom Eßtisch oder der Stereoanlage, sondern vom Sitzelement, der Eßsituation oder der Hifi- Konfiguration. Wieso dann nicht auch das aussterbende Apostroph de's Genitiv's an Pluralbildungen neu beleben?

Also: „Die schönsten Designprodukte renommierter Bremer Unternehmen für Ihre Augen“ im Focke-Museum-Park. Ein Sonntag zum Eierlegen. Die Luft streicht mild gegen die schwärzliche Qualmwolke an, die von dort hinten dem „Möwenpick“-Würstchengrill entsteigt. Es wird wohl noch etwas dauern mit dem „Picknick- Mahl, das Edouard Manet's 'Das Frühstück im Freien– in nichts nachstehen wird“, wie die Einladung „für Ihren Gaumen“ versprochen hat.

Dann lieber erst mal schauen, was Prediger Alle Leuchten zu bieten hat: Zwei Schaufensterpuppen im Holzfällerlook plus Hirsch und rostiger Fragmente einer alten Maschinensituation. Alles beleuchtet von Kerzen in blatternarbigen Kandelabern, die als Candle-Trio und Candle- Duo ausgeschildert sind. Links hängt ein Fahrrad vom Baum herab: Zweiradhaus Schröder war da am Werk.

Und dort, hinter der Kurve? Soll das die Firma Eintopf sein? Nein: dies ist das Herzstück der Design-Expedition — eine Studenten-Projektgruppe aus Hannover stellt ihre Eintopfentwürfe aus. Denn: „An dem Thema Eintopf können alle wesentlichen Mensch-Objekt-Beziehungen dargestellt werden. Sich und anderen die vielschichtigen, widersprüchlichen Eigenschaften von Gebrauchsgegenständen im Hinblick auf die verschiedenen Dimensionen ihres Gebrauchs-und Erlebniszusammenhangs anschaulich bewußt machen.“ Drei Schritte weiter hinten lagern sechs Menschen picknickend auf der Wiese und machen sich mit Pappbechern voller Wein anschaulich die verschiedenen Dimensionen ihres Erlebniszusammenhangs bewußt.

Bei Elsner Hifi erschallen Vogelstimmen von einer CD- Konfiguration, und unterm Baum, neben dem Fernsehapparat, verheißt ein Schild: „Wenn Sie einmal wieder das 'Besondere– erleben wollen: hier ist noch alles individuell in privater Hand.“ O rätselhafter Designergeist, der das so stolz versprochene Besondere in distanzierende Gänsefüßchen setzt und die Reklamesituation im schönen Museums-Park so angestrengt vergeigt.

Bei Willems Wohnen gibt's Erdbeeren mit Sekt: „du, die sind echt“, sagt eine Frau, nachdem sie schüchtern in den dekorativen roten Berg gelangt und unter sichernden Blicken nach links und rechts eine Erdbeere aufgegessen hat. Aber der junge Mann, der unablässig den Faltenwurf eines Riesentuches kontrolliert, hat sowieso nicht hingeguckt. Sein Blick gilt einzig und allein den drei antikholzmattpolierten Freizeitobjekten und dem widersprüchlichen Gebrauchszusammenhang von Holz und darüber drapiertem Tuch.

Bei Koerber Wohnen hingegen weiß man um die Raffgier, die in uns allen steckt und hat deshalb schon ein Füllhorn aufs Gras gelegt, aus dem in verschwenderischen Mengen Streichholzbriefchen quellen. Am Baum bei Koerbers hängen zwei Kuckucksuhren, gestaltet von Ravarini Castoldi & C. — die Rache der Italiener am deutschen Kuckuck hat eine pfeilartig stilisierte Gestalt hervorgebracht, die so aggressiv im Gehäuse hockt, daß man fluchtartig den Schreckensort verläßt, um sich den sieben Pinguinen anzuschließen, die mit sechs Zupf- und Saiteninstrumenten Vivaldi, Mozart, Boccherini, Strauss, Händel und Rossini unter die Leute bringen. Am Ausgang murmelt ein Bächlein vor sich hin, sechs Enten quaken, Schwänzchen in die Höh': Ob die wohl dem Erlebniszusammenhang Eintopf entgehen werden?

Sybille Simon-Zülch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen