Auf der Werder-Wiese

■ Orkan im Bierbecher / Bremer feiern Werders 3:0 und feuern Schalke an

So einen Andrang hatte Charly vom Osterdeich seit dem Elton John-Konzert im letzten Jahr nicht mehr erlebt. Zehn, zwölf Meter Schlange standen die Menschen vor seinem Kiosk an der Kreuzung Osterdeich/Sielwall und deckten sich mit Bier ein als gelte es, auf den letzten Drücker zu Fuß ins Gottlieb-Daimler-Stadion nach Stuttgart zu pilgern. Und alle wollten „Kaltes von unten“ aus Charlys Kühltruhe.

Dabei ging die Reise nur gut 600 Meter weserabwärts. VfB Stuttgart gegen Werder Bremen, das erste Auswärts-Heimspiel der Bremer, zog mehr Zuschauer auf die Weser-Wiesen vor die Großbildleinwand als so manches Heimspiel der abgelaufenen Saison ins Weser- Stadion. Zehn, zwanzigtausend hatten sich versammelt. Als das Spiel in Stuttgart dann um 15.30 Uhr angepfiffen wurden, zischten bereits die ersten eisernen Reserven.

Und flogen gleich hoch in die Luft, denn keine drei Minuten dauerte es, bis sich die Schalker Führung herumgesprochen hatte. 1:0 in Gelsenkirchen, von hinten nach vorne wurde die Nachricht getragen: So wurden im klassischen Altertum die Neuigkeiten verbreitet. Jetzt fielen auch die letzten Zweifler in den berühmten Beatles-Song ein, nach dem die Münchner ihrer ledernen Beinkleider entledigt werden sollten. Wen störte es schon, daß die Leinwand- Regie nach dem Tor den Can-Can aus Bizets „Carmen“ abspielten, der eigentlich immer die Tor-Erfolge des FC Bayern im Münchner Olympia-Stadion unterlegt? Bier regnete es über tausend Köpfe. Selbst die fliegenden Händler, die kaltes Dosenbier zu Crazy-Horse- Preisen verkauften, konnten die Nachfrage nicht mehr stillen.

Der Wind schob aus Solidarität mit den Werder-Fans ein paar feiste Wolken vor die Sonne, damit der Blick auf Leinwand und Bierstand möglichst ungetrübt blieb. Und immer, wenn die Kamera des Kabelkanals „Premiere“ den grün- weißen Fan-Block im Gottlieb-Daimler-Stadion einblendete, prostete man der bremischen Vorhut im Schwabenland ausgelassen zu. Scholls Ausgleichstor in Gelsenkirchen konnte der guten Stimmung keinen Abbruch tun, und als es wiederum zehn Minuten später 2:1 für die Gelsenkirchner stand, ging ein langgezogenes „Schalke, Schalke“ über den Osterdeich. Ein fußballphilosophisches Phänomen: Bremer Fans feuern bei einem Auswärtsspiel des SVW Gelsenkirchener Fußballer an.

Bei Hobschs Führungstor tanzten dann sogar die Würstchen auf Jürgens Lava-Grill, und in den Plastikbechern schwappte das Bier wie die Weser bei Sturmflut. Jede neue Tormeldung aus Stuttgart und Gelsenkirchen verschmolz in einen halbstündigen Gesamttorschrei. Gegen 22 Uhr, als auch die Beathovens auf der Bühne neben der Leinwand nicht mehr singen konnten, hatte der Jubel so manchem Fan die Sprache verschlagen. Wenn Sie also heute einen Anruf erhalten und niemand scheint dran zu sein: Es ist wahrscheinlich ein guter Freund, der Samstag auf der Werder-Wiese war. mad