Survival bei Bratwurst und Bier

■ 20.000 Fans feierten gestern auf dem Marktplatz die Meister-Mannschaft von Werder Bremen

Freddie Mercury war gestern nicht der einzige, der schwitzte. Der Queen-Sänger mühte sich auf der Video-Großbildleinwand auf dem Bremer Marktplatz und ging in die 116. Strophe von „We are the champions“. Drumherum versammelt gaben 20.000 Bremer den Rest ihrer Stimmen, 28 Grad Außentemperatur hatten sie nicht von der Meisterfeier abschrecken können, Fan-Survival bei Bratwurst und Bier. Und auf dem Balkon des Rathauses winkte, sang und schunkelte der Deutsche Fußball-Meister 1993: Otto, Olli & Co.

Dabei war für die 700 Senatsgäste alles auf den letzten Drücker organisiert worden. Ratsdiener Norbert Bertram hatte vorsorglich schon mal mehrere hundert Liter Orangensaft, Wasser, Sekt und 1991er Nitteler Rochusfels Elbling kaltgestellt. Außerdem war von einem Party- Service in einer 15-Stunden- Nachtschicht im last-minute- Verfahren ein Buffet zusammengebastelt worden: Schnittchen mit Aal, Lachs, Forelle und Medaillons, kleinen Schweinefilets. Draußen auf dem Marktplatz die gleiche Improvisation: Noch am Abend des Sieges wurden Video-Leinwand und die Versorgungsstände auf den Weserwiesen abgebaut und auf den Markt geschoben.

Die grün-weiße Begeisterung beim Senatsempfang pflanzte sich bis in die feinsten Verästelungen des Rathaus-Apparates fort: „Ich freue mich, daß Werder Meister geworden ist“, erklärte beispielsweise Johann Drijver, dessen Pfortendienst im Rathaus am eigentlich dienstfreien Sonntag gestern bereits um 6.30 Uhr begann. Und auch Hannelore Trübner war guter Dinge, als sie morgens noch einmal durch das Rathaus feudelte: „Wenn wir mit der Arbeit fertig sind, feiern wir mit.“ Selbst Senatssprecher Klaus Sondergeld war in die Party-Regie eingespannt und achtete als unüberwindlicher Türsteher darauf, daß nie mehr als 30 Personen gleichzeitig auf dem bautechnisch sensiblen Rathausbalkon schunkelten.

Alle waren ausgelassen. Selbst der zurückhaltende Vereinspräsident Dr. Franz Böhmert geriet zu etwas fortgeschrittenerer Zeit ins Scherzen: „Viermal in fünf Jahren sind wir jetzt ins Rathaus eingeladen worden, langsam wird es langweilig“, meinte der Werder-Chef. Mit VfB-Chef Gerhard Mayer-Vorfelder habe er während der letzten Spielminuten des entscheidenden Spieles in Stuttgart in den Katakomben des Stadions eine Zigarette geraucht.

Bürgermeister Klaus Wedemeier hatte den Spieltag nach einer Klausur des SPD-Landesvorstandes „am guten alten Dampfradio“ verfolgt und fühlte sich an 1954 erinnert. „Damals haben wir bei der Weltmeisterschaft am Radio geklebt.“ Innensenator Friedrich van Nispen hatte zeitgleich erfolgreich sein Tennis-Racket geschwungen, um die 1. Seniorenmannschaft des Club zur Vahr vor dem Abstieg aus der Nordwestliga zu retten.

Alle Formen des Feierns waren vertreten. Ein geradezu euphorischer Oliver Reck heizte die Marktplatzmenge immer wieder zu Sprechchören an, andere hielten sich mehr im Hintergrund. Klaus Allofs zum Beispiel mochte den reinen Überschwang nicht teilen. Natürlich freute auch er sich über den Meistertitel, gestand aber: „Es ist schon ein komisches Gefühl, zu wissen, daß das nächste Training 10 Uhr morgens ohne dich beginnt.“

Mit solchen Gefühlen waren wieder andere schon durch: Pico Schütz, Mitglied der Meistermannschaft von 1965: „Die Leute sind genauso verrückt wie bei uns damals.“ Auch 1965 war der SV Werder vom Auswärtsspiel in Nürnberg an die Weser zurückgekehrt, nach einem 2:3-Sieg über den Club. Allerdings erst am Montag, weil die Spieler auf der Rückreise bei einem Freund übernachteten und am Sonntag noch ein Freundschaftsspiel austrugen. mad