Spitzenreiter bei Unfällen

■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (6): Der Hermannplatz in Neukölln produziert die höchsten gesellschaftlichen Kosten für Unfälle: 6,5 Millionen Mark pro Kilometer

Eigentlich müßte er weg! Unter den Straßen, die tunlichst gemieden werden sollten, nimmt der Hermannplatz eine ganz besondere Stellung ein: Er sollte am besten so weiträumig umfahren und auch umlaufen werden, daß niemand auch nur entfernt in seine Nähe kommt. Und daran sollten alle ein Interesse haben, denn keine Straße Berlins verursacht der Gesellschaft durch Verkehrsunfälle so hohe Kosten wie eben dieser Platz zwischen Kreuzberg und Neukölln.

Zu diesem Schluß gelangen jedenfalls die Autoren der „Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr“, deren erschreckende Ergebnisse die taz in einer Serie vorstellt.

Danach ist der Hermannplatz mit seiner momentanen Verkehrsführung und den daraus erwachsenden Folgen volkswirtschaftlich überhaupt nicht zu rechtfertigen: Mit über 6,5 Millionen Mark Kosten pro Kilometer nimmt er bei der Unfallkostendichte unangefochten den traurigen Spitzenplatz ein, die Zossener Straße folgt mit knapp fünf Millionen Mark. Dabei sind die Zahlen der Gutachtergruppe der Berliner Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung (IVU) und der Berliner Forschungsgruppe Stadt und Verkehr (FGS) nicht absolut zu sehen:

Zum einen wurden stets die Kosten für einen Kilometer berechnet, eine Länge, die der Hermannplatz nicht erreicht, zum anderen wurden Durchschnittswerte zugrunde gelegt, die allerdings bei der Berechnung von Unfallkosten üblich sind. Danach addieren sich alle durch einen Unfall mit leichtem Sachschaden entstehenden Kosten zu 5.900 Mark, während 1,2 Millionen Mark aufgebracht werden müssen, wenn ein Mensch getötet wird. Das Statistische Landesamt Berlin stellte die Unfalldaten zusammen, mit denen die Wissenschaftler rechneten. Und nach diesen Berechnungen ist der Hermannplatz für die Gesellschaft schlicht unwirtschaftlich.

„Das wundert mich bei dem Chaos überhaupt nicht“, meint Anwohnerin Angelika G. Die stellvertretende Filialleiterin einer Bank erlebt regelmäßig, daß Autofahrer „bei Rot durchfahren, egal ob da ein Fußgänger kommt oder nicht“. Es sei fast erstaunlich, daß es nicht noch viel häufiger zu Unfällen komme.

Auch ihr Lebensgefährte Karsten B. hat für das Verhalten der meisten Fahrer kein Verständnis, wenngleich er die Spurenführung „verwirrend“ nennt. Daß Rettungswagen auf ihrem Weg zum nahegelegenen Urban-Krankenhaus jedoch kaum eine Chance hätten, den Hermannplatz zu überqueren, lasse ihn am Verstand der Fahrer zweifeln.

Neben der Spurführung gibt es jedoch noch einen weiteren baulichen Grund der hohen Unfallkosten: Der Hermannplatz ist der Knotenpunkt gleich mehrerer Hauptstraßen, die jede für sich in der Studie schon ausgesprochen mies abschneiden: So wird in der Hermannstraße deutlich zu schnell gefahren, die Unfallkostendichte in der Hasenheide liegt weit über 3,6 Millionen Mark pro Kilometer, und die Sonnenallee bringt es auf fast drei Millionen Mark. Zudem ist der Platz durch die U-Bahn-Station sowie die umliegenden Geschäfte und Geldinstitute extrem belebt.

Und wer – todesmutig – eine Einführung in das Kapitel „Rücksichtnahme“ wünscht, sollte den Hermannplatz einmal, bei Gelingen vielleicht sogar ein zweites Mal mit dem Fahrrad umrunden. Denn den stets sich ihrer Vorfahrt gewissen autofahrenden Rechtsabbiegern stehen die mit Plastiktüten bepackten Passanten diesbezüglich in nichts nach. Christian Arns

In der nächsten Folge raten wir von der Stralauer Allee ab.