Wenn Sultan Jugendsenator würde...

■ Nach den Morden von Solingen diskutierten Frauensenatorin Bergmann und Jugendsenator Krüger (SPD) mit jungen Türken / Am meisten Angst "vor der Polizei", erst danach vor Skinheads

Mißtrauisch und reserviert lauschten zehn türkische junge Männer den Worten der beiden ungewöhnlichen Gäste im Kreuzberger Jugendfreizeitheim Naunynritze: „Das hier soll keine PR- Veranstaltung sein“ – „Wir machen uns nach den Taten von Solingen einfach Sorgen“, bekamen sie da zu hören, und: „Wir wollen wissen, wie ihr euch fühlt“ – „Wovor habt ihr am meisten Angst?“ Nach einer Viertelstunde schwerfälligen Gesprächs platzte dem Studenten Sultan, der bis dahin schweigend zugehört hatte, der Kragen: „Ich lebe seit 1975 in Kreuzberg. In der ganzen Zeit ist noch nie ein Politiker hier gewesen“, schimpft er. „Sie können doch auch nichts ändern.“ „Sie“, das waren Frauensenatorin Christine Bergmann und Jugendsenator Thomas Krüger. Die SPD-Politiker hatten sich am Freitag abend aus eigenem Wunsch im Kreuzberger Jugendfreizeitheim Naunynritze zu einem Gespräch mit türkischen Jugendlichen eingefunden: Nicht um Betroffenheitsfloskeln abzugeben, sondern um zu fragen und zuzuhören. Daß sie ihre Hilflosigkeit nicht übertünchten, deutliche Kritik an der eigenen Partei übten und ohne Wenn und Aber für die doppelte Staatsbürgerschaft sowie ein Einwanderungsgesetz eintraten, kam – trotz der großen Vorbehalte der Jugendlichen gegen Politiker – an: „Ihnen persönlich glaube ich das, was Sie sagen“, zollte Bergmann und Krüger am Ende des Abends nicht nur Sultan Respekt. „Wenn man Sie so reden hört, denkt man, Sie seien gar nicht in der SPD, sondern ganz links davon.“

Auf die Frage: „Wovor habt ihr am meisten Angst?“ kam als erstes übereinstimmend: „Vor der Polizei, bestimmt jeder dritte oder vierte Bulle ist ein Nazi.“ Vor allem junge Beamte würden gern türkische Jugendliche „aufmischen“. „Die Älteren sind nicht so.“ Selbst in der Naunynritze seien die „Zivis“ schon mit gezogener Knarre aufgekreuzt. „Wir haben in einem Raum gerade Musik gehört. Hätte einer von uns eine falsche Bewegung gemacht, wäre es ins Auge gegangen.“

Als zweites wurden die Skinheads genannt. „Die dürfte man überhaupt nicht mehr auf die Straße lassen“, fordert einer der Jugendlichen. Ein anderer beklagt sich über fortwährende Schikanen der Ausländerbehörde, wenn er seine Aufenthaltserlaubnis verlängere. „Am besten, Sie setzten sich mal eine Sonnenbrille auf und kommen als mein Anwalt mit“, schlug er Krüger vor. Jener notierte sich immerhin den nächsten Ladungstermin.

Die Kritik der Jugendlichen an der doppelten Staatsbürgerschaft – „dadurch bauen sich die Vorurteile auch nicht ab“ – ließ Frauensenatorin Bergmann nicht gelten: „Die türkischen MitbürgerInnen müssen die gleichen Rechte haben, wenn sie die gleichen Pflichten haben.“ Darauf Sultan: „Euch geht es doch nur um unsere Stimme, weil über die Hälfe der Ausländer SPD wählen würden.“ Mit der Erwiderung, „es wäre doch nicht schlecht, wenn wir mit eurer Hilfe Helmut Kohl abwählen würden“, schaffte es Krüger, die Zustimmung der Lacher auf seine Seite zu bringen. „Das heißt aber nicht nur, daß du wählen kannst“, wandte er sich an Sultan: „Dann machste hier demnächst den Jugendsenator und mußt überlegen, was stellste mit den Skinheads an.“ Plutonia Plarre