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Überlebensgroß der Otto!

VfB Stuttgart – Werder Bremen 0:3 / „Ein kleines Wunder“ geschieht und Otto Rehhagel wird mit Werder Bremen zum zweiten mal Deutscher Fußball-Meister  ■ Aus Stuttgart Peter Unfried

In der Stunde des wieder einmal allerallergrößten Triumphes blieb Otto Rehhagel kontrolliert offensiv. „Ein kleines Wunder ist geschehen“, sprach er mit Bedacht die angemessenen Worte erst suchend und schließlich auch findend. Und hernach ergänzte er: „Ein kleines Wunder ist geschehen.“ Um schließlich aus den diversen zur Verfügung stehenden Erklärungsmodellen zusammenfassend der Nachwelt Endgültiges mitzuteilen: „Ein kleines Wunder ist geschehen.“

Tatsächlich: Der Maurer aus Essen, der Klopper vom Betzenberg, der Feuerwehrtrainer von Weißnichtwo, seit vergangenem Samstag ist er definitiv in den hehren Himmel der unsterblichen Fußballgötter übergewechselt, wo er dereinst zur Rechten Herbergers auf der Wolkenbank Platz nehmen dürfen wird. Otto überlebensgroß!

Der letzte Schritt zum Ruhm, er war der kleinste. Otto pfiff, Otto wedelte, Otto gab Zeichen: Doch eigentlich lief in Stuttgart sowieso „alles für uns“. Keine Spannung, wenig Klasse, kaum Emotionen. Seltsam taub ging es im Gottlieb- Neckar-Stadion zu. Dem dahinscheidenden Meister VfB fehlte nicht nur, wie der Übungsleiter Daum vermutete, „die letzte Konsequenz“, sondern jegliche. Uninspiriert kugelte man sich das Leder zu, beiläufig verfolgte man Aktionen der Bremer. Jene spielten taktisch konventionell und wie erwartet vorsichtig, aber, nachdem via Radio bald schon Erfreuliches vermeldet ward, und „das so seinen Lauf nahm“ (Rehhagel), immer selbstbewußter und vor allem, ohne Fehler zu machen. Die Folge beim VfB: Entweder ging der Ball fahrlässig verloren oder man zeigte kein rechtes Interesse am Zurückgewinnen desselben: Bei Tor eins jubelte Rehhagel noch für sich, dann umarmte er den Untergebenen Kalli Kamp, schließlich hüpfte er an der Seitenlinie mit Vorbereiter Wolter.

Und irgendwann tanzten dann alle. Und sprudelten jenes Zeugs heraus, für das man später nicht zur Rechenschaft gezogen werden sollte, und das wir daher auch gar nicht erwähnen wollen. Nur soviel: „Das ist der Wahnsinn“ (Rufer). Und: „Diese Meisterschaft rangiert ganz weit oben.“ (Allofs) Oder auch: „Als mir ein Hund zulief, wußte ich, das ist die Meisterschaft.“ (Reck) Und dann sang man das Lied von der einzig für den deutschen Titel in Frage kommenden Mannschaft. Und dann sang man es nochmal. Und dann mußte man auch schon als Staffage für ZDF-Steinbrecher herhalten. Und dann sang man wieder. Und das tat man auch den ganzen Sonntag über. Jedenfalls behielt in der allgemeinen Verwirrung wie nicht anders zu erwarten war, einer die Übersicht. „Wir wollen“, sprach Otto Maximal, „in dieser Stunde auch die Bayern nicht vergessen“.

Allerdings, das wollte Otto nun auch nicht ganz verschwiegen wissen: Wer den Führenden 32 Spieltage lang attackiert habe, immer dran geblieben sei, und auf der Zielgeraden schließlich die Nerven gehabt habe vorbeizuschleichen, der habe den Titel allemal verdient. Was stimmen muß. Denn wesentlich weniger umständlich hat ein Angestellter eines Privat- TV-Senders nach getaner Arbeit aus schmalen Lippen ähnliches hervorgeplaudert. „Solange die Glocken noch läuten“, hat der katholisch-geborene Giesinger Franz Beckenbauer aus seinem reichen Erfahrungsschatz mitgeteilt, „ist die Kirche nicht aus.“ Und dann hat er lässig in Richtung Erich, Uli und Lothar getadelt: „Das muß man halt wissen.“ Und den Otto, der jenes bekanntlich dereinst als Zauberlehrling schmerzlichst erfahren mußte, und es sich deshalb so gut gemerkt hat, den hat der Franz feste gelobt: „Er hat sich“, sagte der Heilige Fußballvater und es klang wie eine Seligsprechung, „gut entwickelt“.

Wie nun der Handwerkergeselle nach all den Jahren doch noch einmal ein dermaßen veritables Meisterstück hingekriegt hat? Geht keinen was an und „bleibt alles bei mir“, machte ein aufgeräumter Otto in selten gelassenem Augenblick dann doch wieder dicht. Sein Manager Willi Lemke ist eher aus sich herausgegangen. „Uuuuaahhh“, hat der verkündet und für einmal die Hände tatsächlich aus dem Hosensack genommen. Aber bei allem Überschwang konnte man noch spüren, wie er in seinem Hirn bereits wieder Millionen addierte. Kein Wunder eigentlich: Denn inzwischen ist es ja schon längst wieder nach dem Spiel. Und, da hat der VfB-Präsident Mayer-Vorfelder doch einmal auch etwas wirklich Bleibendes für das Poesiealbum gesagt: „Das Schöne am Fußball ist“, das hat auch der Laie mit den Jahren mitgekriegt, „daß es jedes Jahr neu losgeht.“ Am besten und mit Hilfe eines kleinen Wunders gleich morgen wieder.

Werder Bremen: Reck - Bratseth - Beiersdorfer, Borowka - Wolter, Votava, Herzog (84. Allofs), Eilts, Legat - Kohn (37. Hobsch), Rufer

Zuschauer: 52.000; Tore: 0:1 Hobsch (46.), 0:2 Wolter (50.), 0:3 Hobsch (74.)

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