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■ Milošević an der Schwelle der unumschränkten HerrschaftDer Anfang vom Ende

Was in der Prügelnacht vom 1. zum 2. Juni in Belgrad geschah, hatte keinen direkten Bezug zur vorhergehenden Absetzung des Staatspräsidenten Ćosić. Ćosić war politisch schon lange tot und trug selbst die Verantwortung dafür. In Wirklichkeit handelte es sich um den Ausbruch einer spontanen, diffusen Frustration angesichts der allgegenwärtigen Furcht. Nur einige tausend Leute demonstrierten, der Zeitpunkt (es war Nacht) war schlecht gewählt, es herrschte Windstille (Unruhen in Belgrad finden normalerweise bei stürmischer Witterung statt) und – die Polizei war wohl ausgerüstet, reagierte schnell und effizient. 32 Menschen wurden verletzt, ein Polizist starb und es entstand einiger Sachschaden. Warum? Wegen eines Faustschlags, ausgeteilt von einem faschistischen Schläger im Parlament, der glaubte, seiner Partei sei einfach alles erlaubt.

Dieses Land Serbien wird zunehmend unregierbar. die Sanktionen saugen das Blut aus seinem Körper, die westlichen Mächte schlucken seine wertvollsten humanen Ressourcen und Milošević zehrt die Geduld der Menschen auf. Es stimmt, daß er Tag um Tag stärker wird, daß er die Armee auf eine quantitee negligeable reduziert hat, daß er Vuc Drašković, den Führer der Opposition verhaften und foltern ließ. Aber Macht ohne selbst auferlegte Grenzen trägt kraft ihrer Bewegung die Selbstzerstörung in sich. Milošević geht es um die Macht, nichts als die Macht. Ideologische Verkleidungen: erst der Kommunismus, dann der Nationalismus, sind irrelevant. Šešelj, der ultrarechte Einpeitscher, hat seinen Auftrag erfüllt, die Menschen sind verängstigt. Aber auch für die Angst gibt es Grenzen. Denn die Alternative lautet, entweder einen langsamen Tod unter einem totalitären Regime à la Enver Hoxha zu sterben oder genug Zivilcourage für eine effektive Antwort aufzubringen.

Ohne Drašković und seine mutige Frau ist die serbische Erneuerungsbewegung (SPO) kopflos. Die Mitgliedschaft der SPO reagiert konfus, niemand kann dort Drašković ersetzen. Solange er im Gefängnis bleibt, wird das politische Leben in Serbien eingefroren sein. Milošević aber schweigt, er spielt sein Lieblingsspiel. Geduldig wartet er die Züge der Mitspieler ab, um als letzter einzugreifen. Jetzt steht er an der Schwelle zur unbestrittenen Macht.

Die Farce von Ćosić' demütigender Amtsenthebung und die Tragödie, die durch Šešeljs vor Arroganz und Selbstüberschätzung berstende Leute ausgelöst wurde, bezeichnet den Anfang vom Ende des serbischen Großmachttraums. Ćosić hat zu diesem Traum seine Strategie der „ethnischen Reinheit“ geliefert. Milošević steuerte seine beträchtlichen politischen Fähigkeiten und seine vollständige moralische Skrupellosigkeit bei. Die Manipulationen beider haben die Serben besoffen gemacht, mit der Folge eines Blutbades. Der Kater wird furchtbar werden, denn neuer Sprit wird nicht mehr zu haben sein. Miloš Vasić

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