Neuer Staatschef

■ Guatemalas politische Krise ohne Einschreiten der Armee beigelegt

Guatemala-Stadt (taz) – Der neue Präsident Guatemalas verspricht frischen Wind in die bisherige Politik des zentralamerikanischen Landes zu bringen, denn der 51jährige Ramiro de Leon Carpio war bislang Ombudsmann für Menschenrechtsfragen. Diese Wahl beendet nicht nur die vom vorherigen Staatschef Jorge Serrano am 25. Mai ausgelöste Verfassungskrise, sondern erweckt auch Hoffnungen auf eine „Moralisierung“ der staatlichen Institutionen. Daß die von Putsch, Gegenputsch und täglichen Demonstrationen gekennzeichnete Krise ohne Blutvergießen und ohne direktes Einschreiten der Armee beigelegt werden konnte, ist für das von politischer Gewalt geprägte Land sensationell.

Ramiro de Leon wurde von der vor dem Kongreßgebäude lagernden Bevölkerung stürmisch gefeiert, als er in den frühen Morgenstunden des Sonntags zu seiner Vereidigung eintraf. In seiner Antrittsrede versprach er die Bestrafung auch politischer Verbrecher und kündigte die Abschaffung des „Fonds für Vertrauliche Ausgaben“ an. Das ist ein dem Präsidenten zur Verfügung stehender Budgetposten, über dessen Verwendung er keine Rechenschaft ablegen mußte. Traditionell wurde er zur persönlichen Bereicherung und zur Bestechung von Abgeordneten und Funktionären eingesetzt. Mit einer Alphabetisierungskampagne auch in den indianischen Sprachen will er die Grundlage zu einer weniger rassistischen Gesellschaft legen.

Die Wahl des Juristen ist das Resultat einer für Guatemala einmaligen Initiative der Zivilgesellschaft. Erstmals seit dem verheerenden Erdbeben 1976 hatten sich am vergangenen Donnerstag Vertreter der Unternehmerschaft, der Gewerkschaften, Volksbewegungen und politischen Parteien an einen Tisch gesetzt, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: die Machtergreifung des Vizepräsidenten Gustavo Espina zu verhindern. Espina, dem laut Verfassung die Nachfolge des gestürzten Präsidenten Serrano zustünde, hatte den Putsch gegen die Staatsgewalten mitgetragen und wird sich dafür vor Gericht verantworten müssen. Doch eine Gruppe hoher Militärs, die mit ihm auch wirtschaftliche Interessen teilen, hatten ihn überredet, dennoch das höchste Amt zu übernehmen. Heftige Proteste waren die Folge, und die Unternehmer fürchteten um die wirtschaftliche Stabilität des Landes.

Die sogenannte „Instanz für den nationalen Konsens“ legte dem Kongreß am Samstag einen Dreiervorschlag vor. Neben Ramiro de Leon sollte auch der greise Präsident des Wahltribunals, Arturo Herbruger, und Ex-Außenminister Mario Quinonez für das höchste Amt im Staate kandidieren. In der ersten Abstimmungsrunde setzte sich de Leon gegen den konservativeren Herbruger mit 62:52 Stimmen durch, verfehlte aber die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Erst als Herbruger darauf seine Kandidatur zurückzog, stimmten auch jene Abgeordneten für den neuen Präsidenten, die fürchten müssen, daß jetzt mit der Korruption aufgeräumt wird.

Ramiro de Leon, ein Anwalt mit katholisch-konservativem Hintergrund, der sich Mitte der achtziger Jahre als Präsident der verfassunggebenden Versammlung profiliert hatte, ist in den letzten Jahren als Ombudsmann für Menschenrechte zur führenden moralischen Instanz des Landes gereift. Er konnte nicht nur mehrere Verbrechen aufklären, sondern auch so manches durch sein rasches Einschreiten verhindern. Im indianischen Städtchen Santiago de Atitlan konnte er nach einem Massaker im Dezember 1990 den Abzug der Militärbasis durchsetzen. Für die Armee ist er daher ein unbequemer Staatschef.

Während der Turbulenzen der vergangenen Wochen hatte der Menschenrechtsombudsmann eine Schlüsselrolle bei den Protesten gegen den diktatorischen Präsidenten und dem Kampf für eine Wiederherstellung der Verfassungsmäßigkeit gespielt. Erst in letzter Minute ließ er sich überreden, die Wahl anzunehmen, wie dies von fast allen sozialen Gruppen gefordert worden war. Für ihn bedeutet die Annahme des Postens für nur eine halbe Amtszeit ein Opfer, denn er wäre bei den Wahlen 1995 der aussichtsreichste Kandidat gewesen. Ralf Leonhard