: Dem einen Karriere, dem andern Knast
Zwei Stasi-Überläufer trafen sich in Berlin: Der jetzige erfolgreiche Banker Werner Stiller und Walter Thräne, der nach seiner Rückverschleppung in die DDR 10 Jahre in Isolationshaft saß ■ Von Wolfgang Gast
Der eine hatte ganz großes Glück, der andere mehr als nur großes Pech. Beide waren sie Mitarbeiter der Staatssicherheit, beide wollten sie in den Westen überlaufen. Der eine wurde im Januar 1979 von den westlichen Geheimdiensten mit offenen Armen empfangen. Der andere wurde im Dezember 1962 in die DDR zurückverschleppt und wanderte für mehr als zehn Jahre in strengste Isolationshaft. Jetzt trafen sich beide erstmals bei einer Veranstaltung im Berliner „Haus am Checkpoint Charlie“. Für beide war es am Donnerstag abend letzter Woche auch der erste öffentliche Auftritt. Der Name des einen ist nahezu Legende: Werner Stiller. Über den anderen, Walter Thräne, spricht dagegen so gut wie keiner.
Werner Stiller hatte das Glück auf seiner Seite. Obwohl ihm die Spionageabwehr des Mielke-Ministeriums bereits auf die Spur gekommen war, konnte er sich erfolgreich in den Westen absetzten. Dort wurde der Verrat am sozialistischen Geheimdienst fürstlich belohnt: mit Geld, einer neuen Identität und einer zweiten Berufsausbildung. Walter Thräne blieb das Glück versagt. Noch im Westen erfaßte ihn der lange Arm der Stasi — statt einer Belohnung bekam er Dunkelhaft.
Unbeliebt machte sich der 1926 in Thüringen geborene Thräne, als er bei einer Dienstbesprechung den Sinn der aufwendig betriebenen Spionage in Frage stellte. „Ich verstehe nicht“, erklärte der Mitarbeiter der Wissenschaftlich-technischen Auswertung, „warum Millionen von Valutamark für Unterlagen ausgegeben werden, über die unsere Wissenschaftler teilweise nur lächeln“. Der Mann wurde von Mielke persönlich gemaßregelt, strafversetzt, er sollte dann den VEB Fahrgastschiffahrt Berlin ausspitzeln. Thräne beschloß zu fliehen. Wie Jahre später Stiller bediente er sich dabei seines MfS- Dienstausweises, täuschte er eine dringende Agentenschleusung vor. Anders als der Kollege hatte Thräne aber zuvor keinen Kontakt zum westdeutschen Bundesnachrichtendienst geknüpft. In Westberlin angekommen wandte er sich an einen Manfred Homann, den er von gelegentlichen Treffen bei der Leipziger Messe kannte. Mit diesem, einem geheimen Mitarbeiter der Stasi (Deckname „Max“), geriet er aber wieder an die Krake Stasi.
Unter dem Vorwand, ihn vor dem Zugriff der Stasi zu schützen, wurde Thräne nach Österreich in einen Steinbruch gelockt, dort niedergeschlagen und über den Umweg Prag in die Haftanstalt Berlin- Hohenschönhausen verschleppt. Es folgte ein Geheimprozeß, die Verurteilung zu 15 Jahren Zuchthaus. Bis zu seiner konspirativen Entlassung zehneinhalb Jahre später wanderte er als anonymer Häftling mit der Nummer 595 in strengste Isolationshaft. Die Haftbedingungen waren kaum auszuhalten, acht mal steckten ihn die Wärter in tagelange Dunkelhaft, fünfmal unternahm Thräne einen Selbstmordversuch. 29 Jahre blieb das Schicksal Thränes im Dunklen, nach seiner Verschleppung verschwand er von der Bildfläche, im Westen glaubte man, der abtrünnige Agent sei hingerichtet worden. Keiner wurde informiert, auch die Eltern nicht, bei seiner Haftentlassung mußte Thräne eine Schweigeverpflichtung unterschreiben. Die Stasi steckte ihn nach Eisenhüttenstadt, wo er unter der Legende „ehemaliger leitender Mitarbeiter des Ministeriums für Volksbildung“ bis zur Wende für 390 Mark im Monat Rechnungen zu überprüfen hatte.
Werner Stiller, der glücklichere, durfte unter BND-Schutz Surfen lernen und in den Alpen wandern. Knapp über 30 Jahre alt ging er in die USA, es folgten sieben Jahre England, heute arbeitet er für eine amerikanische Bank an der Frankfurter Börse. Bis Mitte letzter Woche kannten sich die beiden nicht. Hätte er vom Schicksal Thränes gewußt, sagte Stiller im Checkpoint-Museum, wäre er zu der Veranstaltung vielleicht gar nicht erst gekommen. Seine eigene Geschichte sei vergleichsweise „eher klein“; bei Thränes Schilderungen habe er auch einen Schrecken bekommen, was möglicherweise auch ihm hätte passieren können. Hätte seinerzeit ihm irgend einer die Geschichte Thränes erzählt, „ich hätte sie nie geglaubt“. Der Agent, den etliche frühere MfS-Mitarbeiter wegen seines Verrates auch heute noch liebend gerne ans Leder wollen, erkennt im Rückblick: „ich habe viel, viel Glück gehabt“. Leichtsinnig sei er gewesen, ein regelrechter Abenteurer. Heiß und kalt sei etwa ihm geworden, als ihm nach der Wende bei Studium der Stasiakten klar wurde, wie dicht ihm die Stasi vor seiner Flucht schon auf den Fersen war.
Mit ein bißchen Glück und etwas weniger Naivität wäre Walter Thräne sein Schicksal wohl erspart geblieben. Nach seiner Flucht hatten ihn der Generalstaatsanwalt der DDR offiziell über das Neue Deutschland als Schwerverbrecher zu Fahndung ausgeschrieben. Doch kein Zoll und keine Polizei kontrollierte in den drei Monaten vor seiner Verschleppung den Agenten, der sich abgesetzt hatte ohne den Weg zu einem westlichen Geheimdienst zu suchen. Über Glück oder Unglück beider Agenten entschieden vergleichweise zufällige Anlässe. Die Auswirkungen sind aber auch drei Jahre nach der Wende noch gravierend: Stiller fährt heute Porsche, Walter Thräne kämpft um seine Wiedergutmachung.
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