Nazi-Terror gegen Türken geht weiter

■ Neue Brandanschläge in Hattingen und Konstanz / Von den Tätern fehlt bislang jede Spur / Friedliche und unfriedliche Demonstrationen in Solingen, Frankfurt, Kiel und anderswo

Berlin (taz/AP/dpa) – Einen Tag nach dem Brandanschlag auf eine türkische Familie in Hattingen an der Ruhr fehlte der Polizei bis gestern Abend noch jede Spur. Die Mutter und ihre fünf Kinder im Alter zwischen drei und sechzehn Jahren waren in der Nacht zuvor den Flammen nur knapp entronnen. Sie konnten durch ein Schlafzimmerfenster ins Freie flüchten; die Wohnung wurde vollkommen zerstört. Der Brandstifter zündete nach ersten Ermittlungen unter anderem in zwei Schränken Papier an. Als der drei Jahre alte Sohn der Familie die im Wohnzimmer schlafende Mutter weckte, stand nach ihren Angaben schon das Fußende des Sofas in Flammen.

In der Konstanzer Innenstadt brannte in der Nacht zum Samstag das türkische Restaurant „Eumel“ völlig aus. Die Bewohner des Hauses, zumeist deutsche Studenten, blieben unverletzt. Ein Polizeisprecher sprach von Brandstiftung und schätzte den entstandenen Schaden auf rund eine halbe Million Mark. Eine Spur zu den Brandstiftern gebe es noch nicht. Bislang unbekannt sind auch die Täter, die in der Nacht zum Sonntag im hessischen Großkrotzenburg den Wagen eines türkischen Asylbewerbers in Brand setzten.

Die Tat von Solingen ist hingegen nach Angaben der Bundesanwaltschaft weitgehend aufgeklärt. Generalbundesanwalt Alexander von Stahl erläuterte am Samstag in Karlsruhe, zwei Jugendliche hätten das Feuer gelegt, während die beiden älteren Komplizen Schmiere standen. Gegen den 23jährigen Markus G., den 20jährigen Christian B. und einen weiteren Jugendlichen wurde in der Nacht zum Samstag Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts des fünffachen Mordes, versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung erlassen. Ein 16jähriger ist bekanntermaßen bereits seit Montag in Untersuchungshaft.

Nach den bisherigen Erkenntnissen waren die drei, gegen die nun Haftbefehl erlassen wurde, am Freitagabend vor dem Anschlag auf einem Polterabend in einer Solinger Gaststätte in ein Handgemenge unter anderem mit zwei Ausländern verwickelt, die sie irrtümlich für Türken hielten. Nachdem sie aus der Gaststätte verwiesen worden seien, hätten sie gegen 1 Uhr nachts zufällig auf der Straße den ihnen flüchtig bekannten 16jährigen getroffen. Der 16jährige habe ohnehin Randale gegen Ausländer geplant, sagte von Stahl, und habe vorgeschlagen, das Haus der türkischen Familie in der Unteren Wernerstraße anzuzünden. Die drei anderen hätten zugestimmt. Der 16jährige habe dann bei einer nahegelegenen Tankstelle Benzin besorgt. Im überdachten Vorraum der Haustür hätten er und der zweite Jugendliche den Eingang mit dem Benzin und Zeitungen in Brand gesetzt, während die beiden älteren Schmiere standen.

Ein organisierter rechtsextremistischer Hintergrund sei bislang nicht bekannt, sagte Stahl. Keiner der vier Tatverdächtigen ist vorbestraft oder oder war bislang polizeilich aufgefallen.

In der gesamten Republik haben am Wochenende zusammen rund 50.000 Menschen gegen Ausländerhaß und Rassismus demonstriert. Bei der zentralen Kundgebung in Solingen, zu der über 15.000 Menschen kamen, gab es am Samstag heftige Auseinandersetzungen, bei denen nach offiziellen Angaben mindestens 71 Menschen Verletzungen erlitten. Die Polizei nahm in der Nacht zum Sonntag rund 200 türkische Demonstranten in Gewahrsam. Vor der Abschlußkundgebung brach Streit zwischen verfeindeten türkischen Gruppen aus. Die Polizei schob sich mit einem starken Aufgebot zwischen die Streitparteien und drängte eine Gruppe von Demonstranten in eine Nebenstraße ab. Im Verlauf des Tumults kam es auch zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Autonomen. Insgesamt seien 36 Polizisten verletzt worden, erklärte gestern der Wuppertaler Polizeisprecher Jürgen Brenne. 35 Demonstranten hätten ärztlich behandelt werden müssen. Die Polizei habe 270 Menschen in einer Tiefgarage in Gewahrsam genommen.

Die Organisatoren der Solinger Demonstration, zu der Menschenrechtsgruppen, einige Parteien und Gewerkschaften aufgerufen hatten, warfen der Polizei einen „völlig ungerechtfertigten“ Einsatz vor. Die Demonstration sei zwar massiv von rechtsextremen Grauen Wölfe gestört worden. Die Lage sei aber durch friedliche Demonstranten beruhigt worden. Erst „ungerechtfertigten Angriffe“ der Polizei hätten zur neuen Eskalation geführt.

Aus Augsburg und München meldete das bayerische Innenministerium jeweils rund 6.000 Demonstranten, aus Nürnberg 4.000. In Kiel waren es etwa 5.000, in Hamburg mindestens 4.000; In Frankfurt am Main rund 3.000, in Stuttgart knapp 1.000.

In Bremen warfen Demonstranten Fensterscheiben ein. Im Anschluß an eine Demo in Berlin lieferten sich Jugendliche in Kreuzberg eine Straßenschlacht mit der Polizei. Seiten 2, 3 und 10