Nicht nur der Natur zuliebe

■ Ein neues Gütesiegel: für Gemüse aus "integriertem" Anbau / Irreführung der Verbraucher?

« Anbau/ Irreführung der Verbraucher?

Ein Marienkäfer krabbelt über den Vierländer Freilandsalat. Auch auf dem Gütesiegel „Gemüse aus integriertem Anbau — Kontrolliert durch die Landwirtschaftskammer Hamburg“, das an der Kiste klebt, sitzt das rote Insekt. Von dem neuen Siegel, das von heute an auf den Märkten zu sehen sein wird, und ihrem Slogan Der Natur zuliebe erhoffen sich Hamburger Gemüsebaubetriebe einen besseren Absatz für Gurke, Tomate, Kohl und Salat.

Gespritzt oder ungespritzt? Das ist hier die Frage. Heute ist der Salat nicht gespritzt, denn zur Zeit sind keine Läuse da. Wenn sich aber die gefräßigen Tierchen in Scharen übers Grünzeug hermachen, greifen die integrierten Gärtner in bewährter Manier zum Insektenkiller. Denn „integrierte“ Schädlingsbekämpfung ist nach der etwas schwammigen Definition der Welternährungsorganisation ein Verfahren, bei dem „alle wirtschaftlich, ökologisch und toxikologisch vertretbaren Methoden verwendet werden, um Schadorganismen unter der wirtschaftlichen Schadensschwelle zu halten“.

Gänzlich ungespritzt, das ginge nicht, behauptet der Vorsitzende des neugegründeten Hamburger Arbeitsausschusses Integrierter Gemüseanbau, Jürgen Speck. Aber man wolle „die Chemie soweit runter fahren wie nur irgend möglich“ und nicht mehr alle sieben Tage mit der Spritze losziehen.

Das Konzept für die erklärtermaßen „besonders umweltschonende Gemüseproduktion“ in den Vier- und Marschlanden hat die Landwirtschaftskammer Hamburg erarbeitet, die auch die Betriebe kontrolliert. „Alles freiwillig“, betont Gemüsebauberater Walter Heinrich. Er besucht regelmäßig die 21 Gemüsebaubetriebe mit insgesamt rund 180 Hektar Freiland- und 50 000 Quadratmeter Gewächshausfläche, die seit April für den kontrollierten integrierten Anbau in Hamburg zugelassen sind — rund ein Zehntel aller hiesigen Gemüseerzeuger.

Als Zulassungsvoraussetzungen nennt Kontrolleur Heinrich unter anderem bodenschonende Geräte und Düngerstreuer, die genau dosieren. Die angeschlossenen Gärtnereien verpflichten sich, regelmäßig den Boden untersuchen zu lassen und nach diesen Analysen gezielt zu düngen. Denn auch auf chemische Düngemittel brauchen die kontrolliert integrierten Anbauer nicht zu verzichten. Es darf nur nicht zuviel sein. Klare Grenzwerte dafür, was zuviel ist, gibt es allerdings nicht. Besonders betonen die integrierten Landwirte aber, was VerbraucherInnen selbstverständlich erscheint: Pflanzenschutzmittel-Rückstände und Nitrat in ihrem Gemüse sollen unter den gesetzlichen Grenzwerten liegen.

„Nicht überdüngen, nicht zuviel spritzen — für uns ist das nichts anderes als ordnungsgemäße Landwirtschaft“, meint Paul Schmid, Sprecher des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Hamburg. „Integrierter Anbau darf nicht mit Ökolandbau verwechselt werden“. Der BUND warnt vor der Irreführung der Verbraucher durch die verschiedenen Gütesiegel des integrierten Landbaus, die jetzt bundesweit auftauchen.

Das neue Umweltbewußtsein der Hamburger Gemüsegärtner ist

1wohl nicht allein ihrer Naturverbundenheit zu verdanken, denn Pestizide werden knapper und teurer. „Die Bundesanstalt für Pflanzenbau hat uns laufend Mittel aus der Hand genommen und verboten“, klagt Jürgen Speck.

„Pflanzenschutzmittel sind teurer geworden. Die Erzeuger handeln unter ökonomischem Zwang und tun so, als ob das besonders ökologisch wäre“, kritisiert Ute Thode vom „Bioland“-Verband den integrierten Anbau.Der Natur zuliebe — dazu meint die Vertreterin der Ökobauern: „Das ist gelogen“. Vera Stadie