Schläge ins Wasser

Deutsche Schwimmeisterschaften in Potsdam mit wenig Stars, wenig Nachwuchs und einer Boykottdrohung gegen die Funktionäre  ■ Aus Potsdam Martin Krauß

Potsdam (taz) – Schwimmen ist ja so kompliziert. Wer am vergangenen Wochenende die Deutschen Meisterschaften in Potsdam besuchte, mußte dieser verqueren Fortbewegungsform im Wasser schon viel Sympathie entgegenbringen.

Was hat es auf sich mit dem Schwimmen? Robert Musil, der österreichische Schriftsteller, wollte es 1932 genau wissen. Warum kommt man im Wasser eigentlich von der Stelle und nennt das Ganze Schwimmen: „Immerhin sollte es möglich sein, wenigstens im Rohen ein Bild der physikalischen Verhältnisse zu gewinnen, die den Auf- und Vortrieb bei den verschiedenen Techniken des Schwimmens zustandebringen, und schon das würde genügen, um der Ausbildung dieses Sports gewisse Richtungen zu weisen, abgesehen davon, daß eine solche Untersuchung an sich nicht ohne Reiz wäre.“

Wer sich bei der Konkurrenz vom Pariser Tennis-Grand-Slam und Bremer Fußball-Finale in das viel zu kleine Schwimmbad am Potsdamer Brauhausberg, unter dem Brandenburger Landtag gelegen, begab, gehört wohl zu den Menschen, die sich mit solchen Fragen beschäftigen. Und diese Enthusiasten sahen Ernüchterndes: sportlich kaum Spitzenleistungen, statt dessen viel Rummel um die vierfache Titelträgerin Franziska van Almsick. Das ZDF hatte gar ein Traumpaar gesichtet, bestehend aus der 15jährigen Berlinerin und dem 20jährigen Essener Christian Keller, der es auf drei Meistertitel brachte.

Wo so tief in die Mottenkiste gegriffen wird, war sportlich nicht ganz so viel los. Almsicks Siegerzeiten waren fast das einzig Berichtenswerte. Sie gewann über 50, 100 und 200–Meter–Freistil und holte, „als Nebenprodukt“ auch noch, einen Titel über 100–Meter–Schmetterling.

Nicht nur wenig ansprechende Leistungen, vor allem fiel das für das nacholympische Jahr völlig untypische Nachwuchsloch auf. Einzig die Berliner Trainings- und Schulkollegin von van Almsick, Cathleen Stolze, konnte sich als hoffnungsvolles neues Gesicht präsentieren und gewann die 200–Meter–Rücken in 2:12,15 Minuten. International taugt das zwar mutmaßlich auch nichts, aber Cathleen Stolze ist ja noch jung.

So wurden die Alten zwar nicht besser, aber verteidigten doch oft ihre Titel. Daniela Hunger, Gewinnerin über 200–Meter–Lagen, 1988 in dieser Disziplin auch Olympiasiegerin, brachte es auf den Punkt: „Solange der Nachwuchs nicht besser ist, werde ich wohl noch ein, zwei Jahre meine Stellung halten können.“

Daniela Hunger machte auch am Beckenrand von sich reden. Die Aktivensprecherin der Nationalmannschaft verteilte eine Resolution, in der von einer „untragbaren Haltung“ des Deutschen Schwimmverbandes (DSV) gegenüber seinen Aktiven die Rede ist. Diese fordern „Professionalisierung der Führung“, die sofortige Einführung eines „Leistungsorientierten Prämiensystems“, wie es vom DSV-Präsidenten schon einmal befürwortet wurde, und sie fordern für ihre Aktivensprecherin „Sitz und Stimme im Präsidium“.

Die Antwort der DSV-Führung fiel bemerkenswert dämlich aus: Erstens habe der Präsident nicht die „sofortige“ Einführung eines neuen Prämiensystems „zugesagt“. Der DSV dementiert, was keiner behauptet hat. Zweitens könne Sitz- und Stimmrecht für die Aktivensprecherin „auf diesem Wege nicht gefordert werden“, da erst die Satzung geändert werden müsse und dies erst 1995 erfolgen könne.

Auf die Überzeugungskraft solcher Argumente gestützt, sieht der DSV auch der in der Resolution geäußerten Boykottdrohung gelassen entgegen. Der neue Vizepräsident: „Dann sollen sie eben boykottieren. Wir lassen uns nicht nicht unter Druck setzen. Dann nominieren wir eben den Nachwuchs.“

Nachwuchs fehlt zwar, aber das käme aus der Sicht der intellektuell kurz vor der Überforderung stehenden DSV-Führung wohl auf ein Experiment an. Oder, um mit Robert Musil zu reden, „abgesehen davon, daß eine solche Untersuchung an sich nicht ohne Reiz wäre.“

Männer, 50-m-Freistil: Mark Pinger (Heidelberg); 100-m-Freistil: Christian Tröger (Würzburg); 200-m-Freistil: Christian Keller (Essen); 400-m-Freistil: Steffen Zesner (Berlin); 1.500-m-Freistil: Jörg Hoffmann (Potsdam); 100-m-Brust: Timo Nolte (Hannover); 200-m-Brust: Thomas Müller (Magdeburg); 100-m-Schmetterling: Keller; 200-m-Schmetterling: Martin Herrmann (Köln); 100-m-Rücken: Tino Weber (Halle); 200-m-Rücken: Weber; 200-m-Lagen: Keller; 400-m-Lagen: Patrick Kühl (Magdeburg)

Frauen, 50-m-Freistil: Franziska van Almsick (Berlin); 100-m-Freistil: van Almsick; 200-m-Freistil: van Almsick; 400-m-Freistil: Dagmar Hase (Magdeburg); 800-m-Freistil: Jana Henke (Potsdam); 100-m-Brust: Sylvia Gerasch (Hannover); 200-m-Brust: Sylvia Gerasch; 100-m-Schmetterling: Franziska van Almsick; 200-m-Schmetterling: Katrin Jäke (Leipzig); 100-m-Rücken: Sandra Völker (Hamburg); 200-m-Rücken: Cathleen Stolze (Berlin); 200-m-Lagen: Daniela Hunger (Berlin); 400-m-Lagen: Petra Haußmann (Hamburg)

Die Deutschen Meister im Schwimmen 1993