Angewandte Artistik

Im neuen Wiener Kunstgewerbemuseum inszenierten kunstschaffende Innenarchitekten in erster Linie sich selbst  ■ Von Alexis Joachimides

Wer in diesen Tagen durch Wien läuft, sieht sich von allgegenwärtigen Reklametafeln umstellt, die für ein ungewöhnliches Produkt werben: die Neueröffnung des „Museums für Angewandte Kunst“. Das Haus macht schon mit dem schicken Design seines Emblems und seiner zinnoberrot-auf- ultramarinblau gehaltenen Ankündigungen von sich reden. Das ist kein Zufall in Wien, wo in den letzten Jahren eine neue, wenn nicht neureiche Designkultur den schönen Schein in die Auslagen von Luxusboutiquen und Fremdenverkehrsämtern brachte.

Denn es handelt sich schließlich um eine Institution, die traditionell einen Führungsanspruch in diesem Bereich geltend macht, das Wiener Pendant zum Berliner Kunstgewerbemuseum. Das „Museum für Kunst und Industrie“ – wie es ursprünglich hieß – ist ein Kind der Kunstgewerbe-Bewegung des 19. Jahrhunderts und wurde 1863 nach englischem Vorbild als erste kontinentaleuropäische Institution zur Verbesserung des Geschmacks und damit der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrieproduktion gegründet. Die ästhetische Leitfunktion einer solchen Einrichtung sollte damals durch eine umfangreiche Vorbildersammlung historischen Kunsthandwerks und durch die enge Kooperation mit der benachbarten Hochschule für angewandte Kunst erreicht werden, für deren Entwurfstätigkeit die Sammlung eben die Vorbilder bereithielt. Kennzeichnend für diesen Sammlungstyp war die Ausstellung nach Materialgruppen, Glas, Metall, Textilien etc., die auf die verschiedenen Industriebranchen abgestimmt war. Der Erfolg der Moderne hat auch in Wien die Existenz einer historischen Vorlagensammlung in Frage gestellt, an deren Stelle eine kulturhistorische Dokumentation vergangener Einrichtungsstile getreten ist. Seither wird ein Teil der Objekte chronologisch präsentiert und in Themenräumen nach historischen Epochen zusammengefaßt.

Anders als sein Berliner Gegenstück befindet sich das Wiener Kunstgewerbemuseum bis heute in seinem 1868-71 errichteten Gründungsbau, dessen bauliche Substanz und Präsentationsbedingungen nach langer Vernachlässigung jetzt instandgesetzt wurden. Über sieben Jahre war das Haus geschlossen. In dieser Zeit fand eine ambitionierte Umgestaltung des Gebäudes und der Schausammlungen statt, die die Institution modernisieren und in die Gegenwart holen sollte.

Initiator dieser Verjüngungskur ist der seit 1986 amtierende Direktor Peter Noever, dessen Geschick in der Mobilisierung von Mitteln und im Umgang mit der schwerfälligen österreichischen Bürokratie in Wien Bewunderung findet. Noever – zuvor als Galerist in der Vermarktung neuen österreichischen Designs mit unterschiedlichem Erfolg tätig – hatte hier die Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Marketingexperte voll einzubringen und der Traditionseinrichtung ein neues Image zu entwerfen. Über die ursprünglich geplante technische Modernisierung der Infrastruktur des Gebäudes und Erweiterung der Ausstellungsfläche ist es ihm gelungen, eine umfassende konzeptionelle Neuorientierung durchzusetzen. Sie reicht von der Neugestaltung der Schauräume über eine Umorientierung der Sammlungspolitik bis zu einer in Europa bisher ungewohnten Werbekampagne für das Museum in der Stadt. Das wiedereröffnete Museum mit dem prägnanten Kürzel „MAK“ empfahl sich mit einer aufwendig in Szene gesetzten Eröffnungswoche der österreichischen Kulturszene und bedient sich Marketingstrategien wie Corporate identity, um sich ein Publikum in der Stadtbevölkerung zu schaffen. Gerade diese Zielsetzung hebt sich positiv von dem gegenwärtigen Trend ab, große historische Museen auf die Bedürfnisse des Massentourismus hin auszurichten. Verschiedene andere Kulturinstitutionen, in Berlin zum Beispiel die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, setzen auf dasselbe Pferd. Auf wenig Verständnis stößt in Wien allerdings eine monumentale, aber nutzlose Terrassenanlage nach dem persönlichen Entwurf des Direktors, die zusammen mit anderen baulichen Maßnahmen die Öffnung des Museums zur Stadt auch architektonisch leisten soll.

Auch die Neugestaltung der Schauräume droht ein Teil der Corporate identity zu werden, immer dort, wo die Rauminszenierungen die Sammlung als Attraktion verdrängen. Hier hat Noever nach amerikanischen Vorbildern eine Reihe von Künstlern eingeladen, jeweils einen Ausstellungsraum für einen bestimmten chronologischen Ausschnitt der Sammlung zu gestalten. Herausgekommen sind eine Reihe mehr oder weniger attraktiver Lösungen, die aber nur selten eine Auseinandersetzung der Künstler mit dem ausgestellten Material oder dessen Aktualisierung spiegeln.

So erscheinen einige Räume, wie Günter Förgs „Mittelalter-Renaissance“, als gediegene Designerarbeiten, bei denen sich der Künstler bewußt zurückgehalten hat; andere, wie Jenny Holzers „Biedermeier“ dagegen als Environment, das die ausgestellten Möbel als Vorwand für die Selbstdarstellung ihrer üblichen Arbeiten verwendet. Als einziger hat Donald Judd sein Unbehagen an der Aufgabe formuliert: „Künstler mit diesen Installationen zu beauftragen, ist wahrscheinlich ein Weg, mit fragwürdigen Installationen fortzufahren.“ Nur wenigen gelingt es, die Inszenierung zur Vermittlung von aktuellen Sehweisen zu nutzen. So hat Barbara Bloom („Historismus“) die Sammlung von Holzbiegemöbeln der Firma Thonet hinter Gazewänden zu Schattenrissen verfremdet, denen sie fiktive Produktnamen gibt, und damit Assoziationen zur heutigen Massenproduktion weckt: „In Zukunft wird man sich an Ikea als einen überaus attraktiven Betrieb mit vielfältigem Kundenkreis erinnern, der mit Hilfe der cleveren Ikea-Taktik, jedem Objekt im Katalog einen Namen zu geben, die Hürde des Geldausgebens überwindet. Man braucht kein Sofa zu kaufen, wenn man „BJÖRN“ mit nach Hause nehmen kann“ (Bloom). Eine ganz andere Annäherung versucht Heimo Zobernig („Wiener Werkstätte“) durch Plünderung des Vitrinendepots, indem er die Dialektik zwischen der Entstehung der musealen Institution und der parallelen Kunstgewerbe- Bewegung zu Beginn des Jahrhunderts mit einer Auswahl sämtlicher jemals hier verwendeten Vitrinenformen in eine Präsentation zu übersetzen versucht. Aber neben solchen gelungenen Ausnahmen gewinnt die Mehrzahl der nur ästhetischen Installationen eine Eigendynamik, in der die ausgestellten Objekte von den Künstlern für ihre Installation instrumentalisiert werden.

Die inhaltslose Ästhetisierung der Schauräume wird durch die Interessenlage des Direktors noch verstärkt, dessen eigentliche Ambition in der Leitung einer Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst liegt. Dementsprechend versucht er, die Sammlungsstrategie des Hauses als Kunstgewerbemuseum aufzuweichen. Die Neuerwerbungen zeigen „das Ausloten und Erschließen von künstlerischen Grenzbereichen zwischen angewandter und bildender Kunst“ (Noever). Im Klartext bedeutet das den Ankauf von freier Kunst ohne jeden Bezug zur historischen Sammlung, während das Kunstgewerbe seit der Wiener Werkstätte in dieser Sammlung praktisch nicht mehr aktualisiert wurde. Eine mit Berlin vergleichbare Sammlung von Objekten etwa der fünfziger Jahre vermißt man ebenso wie die immerhin einflußreiche Szene des Wiener Designs des letzten Jahrzehnts.

Der an sich spannende Versuch, die Kunstgewerbesammlung des vorigen Jahrhunderts unter heutiger Perspektive neu zu bewerten, schlägt um in eine konservative Präsentation von Meisterwerken im Hauptgeschoß, der die Systematik der an sich umfangreichen Bestände geopfert wurde, die nun im Tiefgeschoß in einer ganz traditionellen Weise nach Materialgruppen eine Studiengalerie füllen sollen (Eröffnung November 1993).

Dieses Desinteresse an der Sammlung und einer aktualisierten Funktionsbestimmung für ein Kunstgewerbemuseum mag mitverantwortlich sein für das Scheitern der Künstler an einem interessanten Experiment.

Österreichisches Museum für angewandte Kunst.

Stubenring 5, Wien.