■ Bunsenbrenner: Computer-Golf der Nordhalbkugel
Erinnert sich noch jemand an die Zeiten, als die Anschaffung eines Computers in der linken Aktionsgruppe oder der Off-Off- Stadtteilzeitschrift heftige Diskussionen hervorrief? Grundsätzlich, wie wir es nun mal gerne haben, wurde der Verlust des sinnlich erfahrbaren Rumschnipselns am Layout oder das implizit Patriarchalische digitaler Eins- Null-Gleichmacherei problematisiert. Lange her. Inzwischen gibt es kaum noch ein Flugblatt, das, bei traditionell hehren Inhalten, nicht per „Desktop Publishing“ in Form gebracht worden wäre. Bildschirmstrahlung und Elektronikmüll hin oder her, längst hat die Sucht nach On-line-Angeboten, und seien es die von engagierten Umweltgruppen, auch den letzten aufrechten Zirkel erreicht. Der Computer selbst ist kein Problem mehr – wenn bloß die Programme nicht so zickig wären.
Wer mag da noch bedenken, daß auch eine engagierte Mailbox und darüber hinaus jeder andere Computer-Service ziemlich genau die Hälfte der Menschheit prinzipiell außen vor läßt: Wo keine Telefonleitung ist, kommen auch keine elektronischen Daten hin. Weltweit verfügen etwa eineinhalb Milliarden Menschen über den vollen Umfang der heute möglichen Telekommunikation, eine weitere Milliarde hat leidlich Zugang, der Rest nicht mal ein Telefon, wie das Wissenschaftsmagazin New Scientist in seiner Ausgabe vom 8. Mai dieses Jahres vorgerechnet hat.
Der Ausschluß von der Datenfernübertragung ist vor allem für WissenschaftlerInnen in den Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas ein Problem, denn ExpertInnen-Austausch findet zunehmend rein computertechnisch statt. Wurde noch vor einigen Jahren die Computer-Aufbereitung dem wissenschaftlichen Druckwerk wie ein Nachtisch hinterher geschoben, so gibt es heute Wissenschaftszeitschriften, die den Umweg über Druckerschwärze und Papier erst gar nicht nehmen. „Internet“ heißt das weltgrößte medizinisch-wissenschaftliche Computernetzwerk, das manche wichtigen Journale exklusiv anbietet. DNA-Sequenzen lassen sich zum Weiterarbeiten direkt aus dem Netzwerk in den eigenen Computer runterladen; keine Schreibkraft muß dazu verdonnert werden, die Sequenzfolgen mit ihren hunderten und tausenden von „Buchstaben“ von einem Fax oder aus einer Zeitschrift abzutippen. Dreidimensionale Molekülmodelle können dreh- und schwenkbar dargestellt werden. Manche Programme lassen auf Tastendruck sämtliche, in einer wissenschaftlichen Veröffentlichung zitierten Werke als Volltexte über den Bildschirm laufen – wer sich je in eine Bibliothek bemüht hat, um Querverweisen in gebundenen Zeitschriften nachzuspüren, wird die Arbeitserleichterung zu schätzen wissen.
Außer den fehlenden Telefonleitungen gibt es weitere Gründe dafür, daß die elektronische Datenfernübertragung ein Computer-Golf der Nordhalbkugel bleiben könnte: Drei Tage kann es in manchen Gegenden Indiens dauern, bis ein Ferngespräch amtlicherseits durchgestellt wird. Dann ist die Verbindung oft so schlecht, daß Bits und Bytes in dem Rauschen keine Chance hätten. Kommen die Daten endlich irgendwo an, dann natürlich auf Englisch – nicht jedoch auf Hindi oder Koreanisch oder Suaheli. Die Anstrengungen, auch Sprachen, die sich anderer als des lateinischen Schriftsystems bedienen, auf dem Bildschirm darzustellen, kranken daran, daß jede Software-Firma an ihrem eigenen System werkelt und die so entstandenen Programme sich weder miteinander, noch mit den diversen Computermodellen verstehen wollen. Und schließlich spielen, das jedoch gilt auch für das papierne Menschheitswissen, die hohen Kosten des Zugangs eine Rolle. Richtig unerschwinglich wird die wissenschaftliche Elektronik für Dritte-Welt-Länder dann, wenn die BenutzerInnen von Datenbanken nicht für einen gebuchten Zeitraum, zum Beispiel für ein Jahr, sondern für jeden Blick in eine Elektronik- Zeitschrift Geld hinblättern sollen. Diese Entwicklung zeichnet sich auf dem Markt ab. Grund genug für die „Computer Professionals for Social Responsibility (CPSR)“, ein Zusammenschluß US-amerikanischer EDV-ExpertInnen, Alarm zu schlagen: „Das menschliche Wissen ist ein gesellschaftlicher Schatz, der gemeinsam im Laufe der Geschichte zusammengetragen wurde“, heißt es in einem Positionspapier der Gruppe, das der New Scientist zitiert. „Es gehört keiner Person, keinem Konzern, keinem Land. Als öffentliches Gut muß jedem der Zugang zu seinem Reichtum garantiert werden.“ Susanne Billig
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