Hungerstreik für Eigentum in Albanien

■ Vom Hoxha-Regime enteignete Besitzer fordern ihre Eigentümer zurück Land der Kooperativen wird verteilt, große Staatsbetriebe noch in staatlicher Hand

Tirana (taz) – In der albanischen Hauptstadt Tirana befinden sich seit dem 25. Mai 100 Personen in einem unbefristeten Hungerstreik. Sie liegen dichtgedrängt auf Matratzen in einem Raum der Zentrale der Republikanischen Partei. Auch in der nordalbanischen Stadt Shkodra haben sich bereits am 20. Mai 75 Personen zum Hungerstreik entschlossen. Der Großteil der Streikenden ist nach Auskunft der beobachtenden Ärzte in einem sehr kritischen Zustand. All diese Personen sind Mitglieder des Vereins „Privateigentum durch Gerechtigkeit“. Sie sehen in ihrem Hungerstreik die letzte Protestform, um eine Änderung zweier Entschädigungsgesetze zu erreichen, die das albanische Parlament Ende April verabschiedet hat: das Gesetz über die finanzielle Entschädigung von Ackerböden und das Gesetz über die Entschädigung und Rückgabe von Immobilien und Grundstücken. Beide Gesetze sehen in erster Linie Entschädigungszahlen bzw. Teileigentumsrechte für die ehemaligen Besitzer aus der Zeit vor 1945 vor. Diese vom Hoxha-Regime durch eine vollständige Kollektivierung enteigneten Besitzer fordern die vollständige Rückgabe sämtlicher Eigentümer wie Ackerland, Häuser und Grundstücke. Finanzielle Entschädigungen lehnen sie ab.

Nach den Angaben des Vorsitzenden des Vereins „Privateigentum durch Gerechtigkeit“, Rrapo Hajredin Danushi, waren 1944 etwa 86 Prozent der albanischen Bevölkerung Landbesitzer. Es gab lediglich sieben Großgrundbesitzer. Die Streikenden fordern insgesamt eine Fläche von rund 100.000 Hektar Land, die sich heute noch im staatlichen Besitz befindet. „Wir sind bereit, auf diese Flächen auszuweichen, um niemanden vertreiben zu müssen“, erklärte Danushi. Die regierende Demokratische Partei ignorierte den Hungerstreik in den ersten zehn Tagen völlig. Die staatlich kontrollierten Medien Radio und Fernsehen sendeten dagegen ausführliche Berichte über den Hungerstreik des Schriftstellers Adem Demaçi im benachbarten Kosovo für eine freie und unabhängige albanische Presse. Mittlerweile wird der Hungerstreik im eigenen Land gelegentlich wenigstens erwähnt. Am 30. Mai forderte der stellvertretende Parlamentsvorsitzende Tomorr Malasi die Beendigung des Streiks, da er die innere Stabilität des Landes gefährde. Zwei Tage später hielt der albanische Präsident Sali Berisha im fernen Korça eine Rede, in der er den Hungerstreik als „unvernünftig“ bezeichnete. Die Streikenden sollen sich der Macht der Mehrheit unterwerfen, dies sei die erste Regel der Demokratie, so Berisha.

Die Vertreter des Vereins „Privateigentum durch Gerechtigkeit“ wollen sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben. „Wir gewinnen diesen Streik oder werden sterben!“, betonte ihr Vorsitzender Danushi. Die Regierung verfolgt jedoch weiterhin ein anderes Konzept für die Privatisierung des Ackerlandes. Die Flächen der ehemaligen landwirtschaftlichen Kooperativen, die etwa 75 Prozent des gesamten Ackerlandes ausmachen, werden nach Pro-Kopf-Anteilen kostenlos an die Dorfbevölkerung verteilt. Es sind bereits über 90 Prozent der 412.000 Hektar Ackerland auf diese Weise verteilt worden. Dadurch entstanden ca. 380.000 private Kleinstgehöfte mit einer Durchschnittsgröße von 1,4 Hektar. Da es nicht beabsichtigt war, Familien umzusiedeln, sind die Größen der Äcker, die einer Familie zugestanden wurden, aufgrund örtlicher und geographischer Gegebenheiten sehr unterschiedlich. Für viele neue Bauern ist es schon heute abzusehen, daß sie von den Erträgen ihres Landes nicht leben können.

Auch die Regierung hat dies eingestanden. Ihre Lösung: Das Bodengesetz wird geändert und soll den Bauern erlauben, ihr Land zu verpachten oder zu verkaufen. Die restlichen 25 Prozent des Ackerlandes (160.000 Hektar) wurden zu kommunistischen Zeiten von 251 Staatsfarmen bearbeitet. Zum Großteil (110.000 Hektar) befinden sich diese Flächen noch im Staatsbesitz und die ehemaligen Landbesitzer fordern sie nun als Ausgleich. Von seiten der Regierung ist zur Zeit kein einheitliches Konzept zu erkennen, wie diese oft sehr fruchtbaren Flächen privatisiert werden sollen. Matthias Kalusch