Konkurrenz für Bündnis 90/Grüne

■ Das Neue Forum beschließt bundesweite Ausdehnung und will bei Bundestags- und Europawahlen antreten / Trotz Protesten und Austritten deutliche Mehrheit für den eigenständigen Weg

Prerow/Berlin (taz) –Die Konkurrenz zwischen Bündnis 90/ Grüne und der Bürgerbewegung Neues Forum hat seit dem Wochenende eine neue Dimension: Auch das Neue Forum will im nächsten Jahr zu den Bundestags- und Europawahlen antreten – als eigene Organisation und damit gegen Bündnis 90/Grüne. Das beschloß mit 56 gegen 14 Stimmen der Bundeskongreß des Neuen Forum im Ostseebad Prerow. Die Organisation will sich den Wählern als „Neues Forum/Offene Liste“ präsentieren. „Um eine solche offene Liste zum Erfolg zu führen,“ will das Neue Forum auch „Organisationen und Initiativen in Westdeutschland ansprechen, die ihre Politik von den herrschenden Parteien nicht mehr vertreten sehen“, heißt es in der verabschiedeten Erklärung. Seine eigene Zielsetzung beschreibt das Neue Forum wortgleich mit Bündnis90/Grüne. Auch die versprachen unlängst auf ihrem Leipziger Vereinigungsparteitag die „neue oppositionelle Kraft in Deutschland.“

Gegen die Entscheidung von Prerow gab es Proteste und Austritte der unterlegenen Minderheit. Die Gegner des Mehrheitsbeschlusses wollten zusammen mit Bündnis90/Grüne zur Bundestagswahl antreten. Außerdem beschloß das Neue Forum, sich durch die Bildung von Basisgruppen und Landesverbänden auf die alten Bundesländer auszudehnen.

Der Konflikt „wie hältst du's mit den Grünen“, schwelt im Neuen Forum seit der Gründung der Partei Bündnis'90 im Herbst 91. Ein Teil des Forums trat damals dem Bündnis bei, der einflußreichere Teil bestand auf der Weiterführung der eigenen Organisation. Dem Bündnis wurde Abkehr von den ursprünglichen Prinzipien der Bürgerbewegung vorgeworfen. Allerdings verpaßte auch das Neue Forum nicht, sich rechtzeitig zum 1.Oktober'91 den Normen des bundesdeutschen Parteiengesetzes zu unterwerfen.

Dennoch versteht sich das Neue Forum auch weiterhin als Opposition zu den Parteien. Auf dieser Basis zeichnete sich bislang eine informelle Arbeitsteilung zwischen Neuem Forum und Bündnis/Grünen ab: das Forum im kommunalen Bereich, das Bündnis als künftige parlamentarische Vertretung auf Länder- und Bundesebene. Bislang gab es die Möglichkeit der Doppelmitgliedschaft. Doch die, wie auch die informelle Arbeitsteilung zwischen beiden Organisationen dürfte mit dem Prerower Beschluß passé sein.

Auf der dreitägigen Tagung wurde auch ein neuer Bundeskoordinierungsrat gewählt, dem u.a. Bärbel Bohley, Reinhard Schult, Andrej Andrich (Sachsen), Heidi Bohley (Sachsen-Anhalt) und Dieter Kohl (Thüringen) angehören.

Zwei Kandidatinnen hatten ihre Kandidatur wegen des zuvor gefassten Beschlusses zurückgezogen. Aus demselben Grund trat Heidrun Heidecke, umweltpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Landtag von Sachsen-Anhalt aus dem Neuen Forum aus. Sie kritisiert Selbstherrlichkeit und Selbstüberschätzung in der Bürgerbewegung, „ein eklatanter Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Neuen Forum“.

Die Forum-Mehrheit sieht das anders. Die Organisation sei „die einzige, auf allen Ebenen wählbare Bürgerbewegung, die den Traditionen des Herbstes verpflichtet“ bleibe. Matthias Geis