14 Millionen Menschen sind infiziert „Die Mauern um Aids einreißen!“

■ Welt-Aids-Konferenz eröffnet / Weizsäcker fordert neue Drogenpolitik / Verhütungsmittel für Frauen intensiver erforschen

Berlin (taz) – Der eindrucksvolle Redner stand nicht auf dem Programm. Adam McKean von der Selbsthilfegruppe Act Up war als Zugeständnis erst nachträglich nominiert worden. Seine lautstarke Aufforderung an die 15.000 Teilnehmer der Berliner Welt- Aids-Konferenz, die Mauern um Aids endlich niederzureißen, war der Höhepunkt der Eröffnungsfeier am Montagmorgen. Es zeigte sich erneut, daß nicht wohlformulierte Ansprachen, sondern die authentischen Schilderungen von Betroffenen die Dramatik dieser Krankheit erst sichtbar machen.

McKean – „Ich habe Aids, und ich bin ein stolzer Aids-Aktivist“ – forderte die reichen Länder auf, „endlich ihren Job zu tun“ und die Entwicklungsländer bei ihrem Kampf gegen Aids ausreichend zu unterstützen. In vielen Ländern dieser Welt „ist Aspirin die Standardtherapie gegen eine mörderische Krankheit“, sagte der Aids- Aktivist. McKean kritisierte, daß in Kuba die Kranken nach wie vor isoliert und in speziellen Lagern eingesperrt bleiben. US-Präsident Bill Clinton warf er vor, nahezu sämtliche Wahlkampfversprechen in Sachen Aids gebrochen zu haben. Die Einreise in die USA werde nach wie vor Menschen mit HIV und Aids verweigert, es gebe nach wie vor keine Kondome an den Schulen, keine Spitzenaustauschprogramme und keine neue Koordination der Aidsforschung. „Es ist nichts geschehen, deshalb müssen wir es Clinton zeigen und allen anderen Clintons auf dieser Welt zeigen.“ McKean attackierte die Pharmafirmen, die sich wie der Konzern Wellcome – Hersteller von AZT – an Aids schwindelig verdienen, und er verlangte, daß die Langzeitüberlebenden bei Aids, also jene Menschen, die seit zehn oder zwölf Jahren bei guter Gesundheit mit dem Virus leben, besser erforscht werden.

Bundespräsident von Weizsäcker hatte in seiner Rede das brisante Thema der Fixer-Spritzbestecke in deutschen Gefängnissen aufgegriffen. Drogensüchtige Häftlinge, die in vielen Gefängnissen noch immer Nadeltausch praktizieren und sich dadurch anstecken, sollten die Möglichkeit haben, sich vor der Infizierung zu schützen. In den Gefängnissen sei bereits jeder fünfzigste Insasse HIV- positiv, sagte von Weizsäcker.

Der Bundespräsident verlangte eine selbstkritische Überprüfung der Moral. Moralisches Versagen warf er auch den Medien vor, die ein „insgesamt haltloses gesellschaftliches Klima ziemlich anstandslos ausnutzen“.

Der Senegalese As Sy Elbadj hatte die ungebrochene Ausbreitung des Aids-Virus „im verletzlichsten aller Kontinente“, in Afrika, herausgestellt. Hier habe die Krankheit ein Ausmaß erreicht, daß die sozio-ökonomische Substanz vieler Länder gefährdet sei. Acht Millionen Menschen sind auf dem schwarzen Kontinent gegenwärtig mit HIV infiziert, eine Million mehr als zur Zeit der letzten Konferenz in Amsterdam.

Die neusten Zahlen, die zur Aids-Ausbreitung von der Weltgesundheitsorganisation am Montag vorgelegt wurden, zeigen, daß die Epidemie vor allem in Asien und Lateinamerika explodiert, wo jeweils 1,5 Millionen Menschen mit HIV infiziert sind. Weltweit haben 14 Millionen Menschen das Aids-Virus, darunter eine Million Kinder. Mike Merson, Direktor des weltweiten Aids-Programmes der WHO, stellte die Entwicklung in Thailand heraus, wo sich die Zahl der Infizierten von 1990 bis 1992 verzehnfacht habe. Ähnlich sei die Situation in Indien. Merson machte sich für frühzeitige Impfprogramme in den Entwicklungsländern stark. Die Resultate aus dem Tierversuch seien so ermutigend, daß hier intensiv und schnell weitergeforscht werden müsse.

Gleich mehrere Redner verlangten, daß die Verhütungsmethoden für Frauen intensiver erforscht werden müßten. In vielen Ländern hätten Millionen von Frauen keinerlei Chance, auch nur über Safer Sex mit ihren Männern zu diskutieren. An eine Kondomanwendung sei oft nicht zu denken. Da das Aids-Virus sehr anfällig ist, müßten endlich Barriere-Methoden gefunden werden, die auch für Frauen anwendbar seien. Ein vaginales Microbizid könnte für Aids und für andere sexuell übertragbare Krankheiten eine Revolution bedeuten.

Merson: „Ich weigere mich zu glauben, daß solch ein Mittel nicht entwickelt werden kann.“ Manfred Kriener