piwik no script img

Ein intellektuell geschulter Tariffuchs

■ Walter Riester, bisheriger Bezirksleiter in Stuttgart, soll hinter Klaus Zwickel zweiter Vorsitzender der IG Metall werden: Ein Modernisierer neben dem Traditionalisten

Berlin (taz) – Das neue Spitzenduo der IG Metall ist komplett. Wenn auf dem Gewerkschaftstag alles glatt geht, werden zwei Schwaben die mit 3,5 Millionen Mitgliedern größte Einzelgewerkschaft der Welt führen. Die Paarung Kaus Zwickel und Walter Riester könnte am ehesten die Lücke schließen, die der schnelle Abgang des alles beherrschenden Franz Steinkühler hinterließ. Moral und Scharfsinn verbände diese Paarung, glaubt der Spiegel zu wissen, und auch für die Basis liegt der Charme des Gespanns in ihrer Ergänzung: Während Zwickel als Integrationsfigur mit etwas Kapitalismusschelte die Reihen geschlossen halten dürfte, kann der Tariffuchs Riester sein Verhandlungsgeschick mit der Arbeitgeberseite ausspielen.

Walter Riester, der 49jähriger Stuttgarter Bezirksleiter, hat sich als Verhandlungsleiter in schwierigen Tarifrunden der Metallindustrie behauptet. So konnte der gelernte Fließenleger mit der Qualifikation eines Mosaikbildners 1990 im Pilotbezirk Baden-Württemberg die letzte Stufe von 37,5 zur 35-Stunden-Woche durchsetzen. Schon beim Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung Ende Juni 1984 war der Steinkühler-Schüler maßgeblich beteiligt: In der Schichtungsrunde kochte er als Tarifexperte des Bezirks mit Vermittler Georg Leber jenen „Leberknödel“, der die Abschaffung der tariflichen 40-Stunden-Woche besiegelte, auch wenn die Gewerkschaft dabei Federn lassen mußte. Im Gegensatz zu dem oft polternden Zwickel ist Walter Riester jeder proletarische Gestus fremd; er verkörpert vielmehr den Typ des intellektuell geschulten Gewerkschaftsmanagers. Wie ein Schachspieler, so charakterisieren ihn Betriebsräte, plane Riester die Tarifregelwerke bis ins Detail vor. Dabei ging es ihm nicht nur um weniger Arbeit und mehr Prozente, sondern auch um die qualitativen Verbesserungen: Abgruppierungsschutz, die Aufhebung unterer Lohngruppen, betriebliche Qualifizierung oder bessere Arbeitsbedingungen sind für ihn mehr als nur „soziales Rankwerk“. Der Absolvent der Akademie der Arbeit, der 1970 als Jugendbildungsreferent zum DGB kam und später Steinkühlers Tarifsekretär in Stuttgart wurde, gilt eher als Modernisierer, der nicht für den Erhalt jedes Arbeitsplatzes kämpfen will. Das ist auch nötig, denn für viele ist die Lösung Zwickel/Riester vielleicht die letzte Chance der IG Metall, ihre gewichtige gesellschaftspolitische Bedeutung zu behaupten. Die Aufgaben sind nicht gerade einfach: Die Bindungskraft schwindet, der Gestaltungsspielraum schrupft, es gebricht an Durchsetzungsfähigkeit. Erwin Single

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen