: Gatt: Hat's der neue Chef leichter?
Der Ire Peter Sutherland wird heute zum Nachfolger von Gatt-Generaldirektor Arthur Dunkel gewählt / Unabhängig davon wachsen die Aussichten auf einen neuen Gatt-Vertrag ■ Aus Genf Andreas Zumach
Die 110 Mitgliedsstaaten des „Allgemeinen Zoll-und Handelsabkommens“ (Gatt) werden heute den Iren Peter Sutherland offiziell zum Nachfolger von Gatt-Generaldirektor Arthur Dunkel bestellen. Offen war gestern nur noch, ob Sutherland, der von 1984 bis 1988 EG-Kommissar war, im Konsens mit oder gegen das Votum einiger lateinamerikanischer Staaten gewählt wird. Die Aussichten, daß unter dem neuen Generaldirektor bis zum Dezember die seit über zwei Jahren festgefahrene Uruguay-Verhandlungsrunde zur Liberalisierung des Welthandels abgeschlossen wird, werden in Genf unterschiedlich beurteilt.
Wie der Schweizer Dunkel im April 1980 ging auch Sutherland nach einer Vorabsprache der beiden Handelsmächte EG und USA ins Rennen um den Gatt-Chefsessel. Dunkel war deshalb in den letzten 13 Jahren bei Gatt-Mitgliedern aus Afrika, Asien und Lateinamerika so manches Mal in Verdacht geraten, er vertrete vor allem die Interessen des Nordens. Doch konnte sich der Süden damals wie heute nicht auf einen Gegenkandidaten einigen. Statt dessen nominierten die Staaten Lateinamerikas und der Karibik den früheren Handelsminister Kolumbiens und derzeitigen Sprecher der „Gruppe der 77“ in der UNO, Botschafter Luis Fernando Jaramillo sowie Julio Lacarte, den Sonderberater des Präsidenten von Uruguay für Welthandelsfragen.
Jamarillo zog seine Kandidatur inzwischen zurück. Der 75jährige Lacarte hat allein wegen seines Alters keine Chance. Und das, obwohl Sutherland, millionenschwerer Banker und Aufsichtrat mehrerer Großkonzerne, mit seinen Forderungen nach dem vierfachen Jahresgehalt Dunkels, der zuletzt 260.000 US-Dollar bekam, auch zahlreiche EG-Staaten verärgerte. Außerdem verlangte der Ire eine verbindliche Zusage für die Umwandlung des Gatt-Büros in eine „Multilaterale Handelsorganisation“ (MTO) der UNO.
Der künftige Generaldirektor steht unter großem Erwartungsdruck, die Uruguay-Runde bis spätestens zum Ablauf des Verhandlungsmandats der Clinton-Administration am 15. Dezember zu einem erfolgreichen Abschluß zu steuern. Dabei haben gerade die letzten Jahre der Ära Dunkel gezeigt, daß ein noch so gewiefter Vermittler an der Gatt-Spitze den Erfolg nicht garantiert. Daß dennoch bei einer Reihe von Gatt-Unterhändlern wieder Optimismus herrscht, dazu haben einige Ereignisse der letzten drei Wochen beigetragen: die Preisbeschlüsse der EG-Agrarminister für das Wirtschaftsjahr 1994/95, die Frankreich die Zustimmung zum bislang abgelehnten Agrarkompromiß mit den USA ermöglichen soll und die Bereitschaftserklärung Japans zur Senkung von Einfuhrzöllen für 770 Produkte, vorgelegt beim Treffen der G7-Handelsminister Mitte Mai in Toronto.
Doch gibt es unter Teilnehmern und Beobachtern der Gatt-Verhandlungen auch skeptische Stimmen. Der jüngst von Dunkel vorgelegte Gatt-Jahresbericht 92 macht zudem deutlich, daß ein Abkommen zur globalen Liberalisierung des Handels zunehmend weniger im Interesse der Wirtschaftsmächte des Nordens liegt. Denn der Anteil der klassischen Industriestaaten am Welthandelswachstum ging 92 erneut zurück.
Immer mehr Gebiete in Europa und Nordamerika würden jedoch durch regionale Vereinbarungen wie Freihandelsabkommen oder ähnliche Vorzugsverträge gegen den offenen Welthandel abgeschottet.
In seiner jüngsten Rede vor dem Gatt-Rat warnte Dunkel vor dieser Entwicklung. Der These, die Schwierigkeiten beim Abschluß der Uruguay-Verhandlungsrunde offenbarten eine grundlegende Krise des Welthandelssystems, die mit dem Gatt-Ansatz nicht mehr zu lösen ist, wollte Berufsoptimist Dunkel öffentlich zwar nur eingeschränkt zustimmen. Sein freiwilliger Abgang als Gatt-Generaldirektor zum jetzigen Zeitpunkt gilt in Genf aber auch als Indiz, daß Dunkel diese Einschätzung zunehmend teilt.
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