Bürgerschaftsneuwahl
: Auf 73 Seiten Nachhilfe in Demokratie

■ Sechs Verfassungsrichter begründen Neuwahl-Urteil, zwei widersprechen

BÜRGERSCHAFTSNEUWAHL

Auf 73 Seiten Nachhilfe in Demokratie Sechs Verfassungsrichter begründen

Neuwahl-Urteil, zwei widersprechen

Nun haben sie's schriftlich, die Hamburger Politiker. Seit gestern liegt Abgeordneten, Parteien, Senat und Bürgerschaftspräsidium das 61seitige Neuwahl-Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts vor, samt eines zwölfseitigen Sondervotums jener zwei obersten Richter, die sich gegen die Annullierung der Bürgerschaftswahl von 1991 ausgesprochen haben. Am 4. Mai hatte das Gericht das mit sechs gegen zwei Stimmen gefällte Urteil mündlich verkündet, das Kandidatenaufstellungsverfahren der CDU für undemokratisch, die Wahlanfechtung von fünf Unions-Dissidenten für rechtens erklärt und so Hamburgs Polit-Leben aus der Legislatur-Routine gerissen.

Entscheidende Sätze der Urteilsbegründung: „Die Bürgerschaft und die Bezirksversammlungen wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders zusammengesetzt, wenn die Wahlvorschläge der CDU von der Landeswahlleitung zurückgewiesen worden wären und die CDU an der Wahl nicht hätte teilnehmen können. Aber auch bei Zulassung der CDU wäre es ohne die festgestellten Mängel in dem Kandidatenaufstellungsverfahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer anderen Zusammensetzung der Bürgerschaft und der Bezirksversammlungen gekommen.“

Genau dieser im Juristendeutsch „Mandatsrelevanz“ genannte Urteilsgrund wird von zwei Verfassungsrichtern, Rudolf Toboll und Herbert Dau, verworfen. Nach ihrer Ansicht hätte eine demokratischere Kandidatenaufstellung der CDU kaum zu einer anderen Besetzung der Parlamente geführt. Toboll und Dau kommen deshalb in ihrem Sondervotum zu dem Schluß, daß die 91er Wahl nicht hätte annulliert werden dürfen. Nach ihrer Ansicht hätte es gereicht, das Blockwahl-Verfahren der CDU zu rügen: „Es hätte genügt, die festgestellten schweren Wahlrechts- und Demokratieverstöße der CDU als solche zu benennen, Mängel im Wahlzulassungsverfahren aufzuzeigen und auf den gesetzlichen Regelungsbedarf hinzuweisen. Auf jeden Fall aber hätte die (richtige) Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zur Bestätigung dieser Wahlen und zur Zurückweisung der Wahlbeschwerden als unbegründet führen müssen.“ Wasser auf die Mühlen des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Ralf-Dieter Fischer, der die Neuwahlen vom Bundesverfassungsgericht stoppen lassen will. uex