Operation "Sparschwein"?

■ Die Idee finden alle gut, die Frequenz ist da, und trotzdem gibt es noch kein Multikulti-Radio in Berlin

Dieser Tage sind AusländerInnen mehr denn je Objekt der Medien: Sie werden – zwangsläufig – von ihnen verhandelt, haben jedoch kaum gleichberechtigten Zugang zu ihnen. Seit dem Ende der fremdsprachigen Programme (kurdisch, türkisch, polnisch, arabisch) des Alternativsenders Radio 100 gibt es auch in Berlin-Brandenburg keinen einzigen Sender, der die allein 250.000 Berliner AusländerInnen angemessen repräsentieren würde. Und das ungeachtet freier Frequenzen – in einer Stadt, in der 166 Nationalitäten zusammenleben.

Obwohl im Medienstaatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg der Bestand wenigstens eines multikulturellen muttersprachlichen Senders festgeschrieben ist, wird die Medienanstalt Berlin- Brandenburg (MABB) – so ihr Direktor Hans Hege – auch bei der heutigen Sitzung ihres Medienrats noch keine Entscheidung darüber treffen können, ab wann und in welcher Form ein Multikulti-Programm senden darf. Statt dessen werden drei werbefinanzierte Frequenzen vergeben. Grund für die Verzögerung bei Multikulti ist inzwischen nicht mehr der mangelnde politische Wille, der vielfach allgemein geäußert wurde – sogar ein CDU-Medienpolitiker sprach sich kürzlich bei einer TV- Podiumsdiskussion für eine solche Welle aus. Vielmehr hat die Landesrundfunkanstalt SFB bislang kein richtiges Konzept dafür, und dem basisnäheren Alternativmodell der AL (Bündnis 90/Grüne) fehlt der richtige Schub. Ein nicht ganz billiges juristisches Gutachten müßte her, ob die angestrebte Kooperation von SFB und Immigrantengruppen rechtlich möglich ist.

Beworben für das multikulturelle Radio haben sich der SFB, das kommerzielle Kabelradio Kiss FM (ein Musiksender), die Radio 100 GmbH der früheren Alternativfunker und der Verein Multimedia e.V. Letzterer ist ein Zusammenschluß der muttersprachlichen Redaktionen des früheren Radio 100. Multimedia setzt auf ein Konzept der Alternativen Liste, das ein Frequenzsplitting zwischen dem öffentlich-rechtlichen SFB und „privaten“ muttersprachlichen Redaktionen in „Fenstern“ vorsieht. Finanziert werden soll die Welle laut AL-Konzept durch von der MABB nicht in Anspruch genommene und an den SFB bislang nicht rücküberwiesene Rundfunkgebühren. Eine entsprechende Nutzung dieser Gelder für Multikulti ist laut Rundfunkstaatsvertrag möglich.

Das AL-Kooperationsmodell ist jedoch juristisch nicht so ganz „statthaft“ oder zumindest problematisch, da private Anbieter mit den Statuten des Öffentlich- Rechtlichen nicht vereinbar sind. Das würde die Ablehnung leichtmachen, also muß ein neues Modell entwickelt werden, doch bisher scheitert das an den Übernahmekosten für ein entsprechendes juristisches Gutachten. Hier könnte die MABB, dem Modell der AL nicht abgeneigt, einspringen.

Ganz wollte und wollen die AL und die Immigrantengruppen dem instanzenträgen SFB, der bis heute kein Konzept vorweisen will, weil er noch keines hat, das Feld nicht überlassen. Der Redakteursausschuß des SFB jedenfalls hat sich bisher „herzlich wenig“ mit der Multikulti-Welle, diesem zerbrechlichen Kind, beschäftigt, so war zu hören. „Zu viele Unwägbarkeiten“ gäbe es, weder Frequenz noch Finanzierung seien gesichert, aber „es wird etwas passieren“. Die Bewerbung des SFB für das Multikulti-Programm, so besagen Gerüchte, sei bislang nicht mehr als „ein banaler Brief“. Bei unliebsamem Nachfragen entpuppt sich die Aktivität des SFB als mähliche „Bildung von Projektgruppen“. In etwa zwei, drei Wochen soll dann ein erstes Programmschema vorliegen. Die Interessen ausländischer Bürgerinnen und Bürger seien ja vorläufig durch die traditionellen fremdsprachigen Sendungen abgedeckt (vier Stunden täglich und seit zwei Jahren von UKW auf die Mittelwelle abgeschoben). Am 18.Juni werde der Programmausschuß des Rundfunkrats dann jenes Konzept beraten, das rätselhafterweise „kein 24-Stunden-Programm, aber ein Vollprogramm“ vorsieht.

Multikulti-Radio darf vor allem nichts kosten. Der Sendebetrieb der neuen Welle wurde aber vom SFB schon vorab mit etwa sechs Millionen Mark pro Jahr veranschlagt. Nicht gerade ein gutes Blatt für Multikulti, denn unter der Fuchtel der Rezession scheint fast alles erklärbar: Anschläge auf AusländerInnen ebenso wie Handlungsdefizite seitens der Medienverantwortlichen. Man wäre wohl gern politisch korrekt und multikulturell mitmenschlich, nur umsonst muß es sein, scheint die Devise beim SFB zu lauten, wo man erst kürzlich stattliche Summen für einen „repräsentativen Hauptstadtkanal“ erübrigen konnte.

Bleiben noch schlappe 5,1 Millionen DM zu erwähnen, die der SFB aus dem Vermögen des ehemaligen DDR Hör- und Fernsehfunks erhielt. Kein Wunder, daß der SFB da lieber ohne private Anbieter auskommen möchte, wie aus der Medienanstalt Berlin- Brandenburg zu hören war. Beim SFB bekundete man, darauf angesprochen, noch einmal eilfertig seinen Willen zur Kooperation. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg kann die Gelder allerdings nur an Öffentlich-Rechtliche, sprich den SFB, vergeben. Und so gedulden sich Multimedia e.V., die Radio 100 GmbH und das kommerzielle Kiss FM womöglich unbefristet in der Warteschleife um eine halbe Frequenz, die sie am Ende vielleicht gar nicht zugesprochen bekommen, bliebe da zu argwöhnen.

Als umstrittenster privater Bewerber gilt Radio Kiss FM. Der jetzt nur über Kabel zu empfangende Sender will vornehmlich jugendspezifische Themen aufgreifen, eingebettet in Soul, Funk, HipHop, Rap und moderne Musik der Heimatländer ausländischer Jugendlicher. Eine vermeintliche sprachliche und kulturelle „Ghettoisierung“ durch separate Sendeblöcke für die unterschiedlichen Sprachgemeinschaften lehnt man strikt ab. Kiss FM, dessen Konzept aus den USA stammt, wird u.a. durch griechische, kurdische und syrische Unternehmer finanziert. Die Medienanstalt betrachtet die Qualifikation von Kiss FM aufgrund seiner eher kommerziellen Ausrichtung skeptisch.

Auch die Radio 100 GmbH zählt zu jenen Bewerbern um eine Frequenz, die – hier als ein Aspekt linksalternativer Medienarbeit – multikulturelles Radio machen will. Ihr Antrag ist bislang noch nicht einmal behandelt worden.

Ungeachtet der vermutlich auch vorgeschobenen juristischen Schwierigkeiten mit dem „Zwei- Säulen-Modell“ der AL, ist MABB-Direktor Hege zufolge außerdem unklar, wie die Sendezeit zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Frequenzteilhaber aufzuteilen ist und ob als künftige Zulieferer etwa BBC oder der WDR in Betracht kommen. Kurzum: „Die Entscheidung kann durchaus noch dauern“, so Hege. Anke Westphal