Hippies im Horrorwonderland

George A. Romero adaptierte Stephen Kings „Stark — The Dark Half“  ■ Von Karl Wegmann

Oh mein Gott, noch ein Stephen-King-Film. Inzwischen haben sie ja nun wirklich fast jeden Roman des Fließbandschreibers auf der Leinwand verbraten, hinzu kommen haufenweise Kurzgeschichten, die gnadenlos zu abendfüllenden Lichtspielen aufgeblasen wurden. Am Anfang hieß es noch: „Carrie“ von Brian De Palma oder „Shining“ von Stanley Kubrick. Bei „Christine“ von John Carpenter tauchte der Name des Horror-King schon etwas größer auf den Plakaten auf. Heutzutage nennen sie die Filme gleich „Stephen King's Nachtschicht“ oder noch stupider „Stephen-King's Manchmal kommen sie wieder“. Die Namen der Regisseure werden dagegen in winziger Schrift an den unteren Rand gedrückt, wo sie, zugegeben, meist auch hingehören. Stephen King selbst hat längst den Überblick verloren, welche Rechte an welchen Erzählungen seine Agenten schon alle verscherbelt haben. Von der Adaption seiner Kurzgeschichte „Der Rasenmähermann“ erfuhr der Autor erst, als der Film schon im Kino lief. Er fand das Ding gräßlich, klagte gegen die Verwendung seines Namens und verlor.

Eigentlich hegt King jedoch eine sehr pragmatische Einstellung zu Filmen. „Mir liegt ein ziemlicher Scheißdreck an Filmen, um ganz ehrlich zu sein“, verriet er schon 1980, „was Verfilmungen meiner eigenen Werke anbelangt, so habe ich immer nur eines versucht, nämlich soviel Geld wie möglich herauszuholen.“

Auch der neue Streifen nach einer King-Vorlage besitzt wieder diese alberne Personenkult-Voranstellung: „Stephen King's Stark“ (im Orginal „Stephen King's The Dark Half“). Doch diesmal ist alles anders, denn der Regisseur ist ein alter Freund (im Geiste und auch sonst) des Angstmachers und heißt George A. Romero. Mister Romero kam zu höheren Weihen, als er 1968 dem Ausdruck „Zombie“ eine neue, bis dahin ungeahnte Dimension gab. Sein Untoten-Schocker „Night of the Living Dead“ war ein Skandal. Heute liegt der vom europäischen Expressionismus beeinflußte Schwarzweißfilm unter anderem im Archiv des New Yorker Museum of Modern Art.

King und Romero hatten schon 1982 eine Menge Spaß, als der Regisseur Kings Kurzgeschichtensammlung „Creepshow“ auf die Leinwand brachte (mit dem Autor als Darsteller). Daraufhin bot King seinem Freund an, er könne sich aus seinen Geschichten, deren Filmrechte noch nicht vergeben waren, eine aussuchen. Romero entschied sich für „The Dark Half“, bekam von Orion Pictures zehn Millionen Dollar (ein Klacks für heutige Hollywood-Produktionen) und legte los.

Die Hauptrolle in der Horror- Story spielt ein Schriftsteller. Stephen King liebt die Federfuchser, denn Schriftsteller, ganz besonders Unterhaltungsschriftsteller haben es unsagbar schwer – meint King. Entweder sie drehen gleich völlig durch und versuchen Frau und Kind zu meucheln, wenn sie mal eine kleine kreative Sendepause haben, wie Jack Torrance in „The Shining“ oder aber sie werden, wenn sie versuchen sollten auf ernsthafte Literatur umzusteigen, von einem psychopathischen 100-Kilo-Groupie gekidnappt und wochenlang grausam und ideenreich gefoltert, wie Paul Sheldon von Annie Wilkes in „Misery“. Völlig egal also, ob ein oder zwei Seelen in der Brust des U-Autors wohnen, er wird auf jeden Fall des Wahnsinns fette Beute. Der einzige Fast-Food-Schreiber („Ich bin das literarische Äquivalent eines Big Mac mit einer großen Portion Pommes“) der offensichtlich aus dieser Tortur unbeschadet, ja mit Gewinn, hervorgeht ist Mr. King selbst.

King ist der einzige Schriftsteller der eine Zeitlang (1982) gleichzeitig mit drei seiner Bücher in den Bestsellerlisten der „New York Times Book Review“ vertreten war. Der Vielschreiber überschwemmte den Markt derart gründlich, daß seine Verleger kalte Füße bekamen. Sie hatten wohl Angst vor einer Übersättigung der Kundschaft oder einer größeren kreativen Sendepause des Schreiberlings, die zum schnellen Phantasietod führen und damit auch ihren Kapitalfluß versickern lassen könnte. Deshalb versuchten sie, ihren Goldesel zu bremsen: Zwei Bücher im Jahr sind genug! lautete der Befehl. „Meine Verleger benahmen sich wie eine frigide Ehefrau, die ihren Mann nur zweimal im Jahr an sich ranläßt und ihn, wenn er zu geil wird, ermuntert, sich doch ein Call Girl zu suchen“, kommentierte King und nahm sich ein Call Girl namens Richard Bachman. Unter diesem Pseudonym brachte er zwischen 1977 und 1984 fünf Romane heraus – mit mäßigem Erfolg. Von dem letzten Buch „Der Fluch“ wurden gerade mal 28.000 Exemplare verkauft. Bis zu dem Tag als ein pfiffiger Washingtoner Buchhandelsgehilfe und Schriftsteller namens Steve Brown Verdacht schöpfte. Er ging in die Kongreß-Bibliothek, fand Kings Namen auf einem der Copyright-Formulare und machte seine Entdeckung publik. Die verkaufte Auflage der Bachmann- Romane verzehnfachte sich.

Stephen King fühlte sich bestätigt, lachte sich einen Ast, den er „The Dark Half“ nannte und dem er eine „Vorbemerkung des Verfassers“ vorausstellte: „Für seine Mithilfe und Anregung bin ich dem verstorbenen Richard Bachman Dank schuldig. Ohne ihn hätte dieser Roman nicht geschrieben werden können.“

„Stark – The Dark Half“ erzählt von den Schwierigkeiten, die ein gewisser Thad Beaumont mit der Unterhaltungsliteratur hat. Nachdem seine ersten Bücher ihm zwar einen kleinen literarischen Ruhm, aber keinen müden Cent eingebracht hatten, entschließt sich Beaumont unter dem Pseudonym George Stark einige bluttriefende Thriller zu schreiben. Die Sache haut fabelhaft hin, jede Menge Kohle. Als er genug mit dem Schund verdient hat, will er endlich wieder ein „gutes“ Buch schreiben. Hinzu kommt, daß gerade ein Student sein Pseudonym geknackt hat (!). Kurzentschlossen läßt er seinen Nom de plume symbolisch zu Grabe tragen. Aber Thad Beaumonts zweite Existenz, die dunkle Hälfte seines Schriftstellerdaseins, kommt zurück: George Stark kriecht aus seiner Gruft und wird für seinen Schöpfer und dessen Freunde und Verwandte zur tödlichen Bedrohung.

Die Geschichte hätte bequem auf 200 Seiten PLatz gehabt. King bläht sie auf 475 auf. Der Spannungsbogen reißt dauernd ab, der Autor wird geschwätzig, und über lange Strecken plätschert es wie eine billige Illustrierten-Story dahin. Da kam George A. Romero gerade recht. Der Regisseur, der auch selbst das Drehbuch schrieb, entrümpelte zunächst einmal die langatmige Autorenpein und straffte sie, ohne dabei jedoch Kings Absicht aus dem Auge zu verlieren. Denn der Meister liefert nie Horror um des Horrors willen, vielmehr wächst das Grauen aus der Normalität des kreuzbraven amerikanischen Mittelklasse-Alltags. Und den beschreibt und entlarvt kaum ein anderer so genau wie Stephen King. Immer wieder schlägt bei ihm der Hippie durch, der seinen Idealen vom 68er Campus treu geblieben ist – da konnte der Regisseur locker folgen. Romero, der in „Dawn of the Dead“ (1977) Hunderte von halbvitalen Menschenleichen durch ein gigantisches Einkaufszentrum staksen ließ und damit eine ätzende Konsum- und Gesellschaftskritik lieferte, zeigt uns jetzt einen Thad Beaumont, der sich mit dem Geld, daß er mit seinen reißerischen Metzelbüchern verdient hat, ein kuscheliges Häuschen in einer Kleinstadt eingerichtet hat. In diese romantische Idylle in hellen Farben, mit Holzfußböden, einer Ehefrau und Zwillingskindern, in diese heile TV-Familien-Serien- Welt, bricht das Monster Realität ein. Denn das ganze bonbonfarbene Leben stand auf dünnen Stelzen aus Lügen und Heuchelei: Beaumont konnte von seiner Schreiberei nie leben, mußte einen Lehrer- Job annehmen um seine Brötchen zu verdienen. Erst als er unter dem Pseudonym George Stark triviale Thriller schreibt, kommt Geld rein und er steigt gesellschaftlich auf, ohne jedoch zu verraten womit er diesen Aufstieg bezahlt. Er und seine Frau glauben immer noch, daß Beaumont ein großer Schriftsteller ist, sie machen sich über Stark und die Leser, die seinen Mist kaufen und damit ihr bequemes Leben finanzieren, lustig. Als Beaumont sein Pseudonym begräbt, ehrlich sein und ein „gutes“ Buch schreiben will, scheitert er und sieht die Wahrheit. Es kommt zur Katastrophe. Fazit: Verleugne nie deine dunkle Hälfte – wenn du damit Geld verdienen kannst. Stephen King wird den Film lieben!

Wem das Ende des King-Romans zu kitschig war, gemeint ist die Stelle wo die Spatzen (die nach mythologischer Überlieferung die Seelen von der Welt der Lebenden in das Totenreich transportieren) George Stark abführen, der sollte sich unbedingt anschauen was Romero daraus gemacht hat, sein Schluß ist bedeutend gruseliger und logischer. George A. Romero ist mit „Stark – The Dark Half“ der zweite Regisseur, der Kings Ton, seinen Horror und seinen Humor, exakt trifft. Der erste ist Rob Reiner, der mit „Stand By Me“ und „Misery“ die bislang besten Verfilmungen von King-Geschichten abgeliefert hat. Alle anderen Regisseure, ob sie nun De Palma, Kubrick, Carpenter, David Cronenberg oder Mary Lambert heißen, haben nette Filme gedreht, den Ton aber nicht getroffen.

Und was macht Stephen King? Nun, er schreibt natürlich. Mit seinem letzten bei uns erschienenen Buch „Dolores“, in dem er eine alte Frau während eines Verhörs in einem einzigen Monolog ihr ganzes Leben erzählen läßt, wandelt er auf den Spuren Thad Beaumonts, denn er hat ein „gutes“ Buch geschrieben. Ob ihm seine dunkle Seite dafür jetzt an den Kragen will, ist nebensächlich, denn verfilmt wird die Geschichte auf jeden Fall.

„Stark“ von George A. Romero, USA 1992. Mit: Timothy Hutton, Amy Madigan, Julie Harris, Michael Rooker u.a. 124 Min.