Ganz Bosnien ist ein großes Sarajevo

In Zentralbosnien, den Städten Travnik, Jablanica, Konjic und nicht zuletzt in Mostar finden schwere Kämpfe statt / Bosnische Armee erringt einen Erfolg in Travnik  ■ Aus Vitez Erich Rathfelder

„Das Schlimmste ist wohl der Wassermangel.“ Der Offizier der spanischen UNO-Truppen in der in der Westherzegowina gelegenen Stadt Medjugorje zeigt sich besorgt. Ihm ist das Schicksal der 50.000 Menschen, die in der 20 Kilometer entfernten Stadt Mostar von Truppen der kroatisch-bosnischen Armee HVO eingeschlossen sind, keineswegs gleichgültig. Auch er, der sich als spanischer Konservativer, wie er selbst sagt, im Herzland des kroatischen Nationalismus, in diesem katholischen Wallfahrtsort eigentlich wohl fühlen müßte, ist verzweifelt angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe für die eingeschlossenen Moslems. „Weil die Wasserversorgung von der HVO unterbrochen wurde, gibt es jetzt schon Typhus in der Stadt, die Lebensmittelvorräte sind am Ende, es ist damit zu rechnen, daß diese Menschen in zehn Tagen tot sein werden.“ Und er ist verzweifelt, weil er wieder einmal an die Begrenzung für die UNO-Truppen gestoßen ist. „Wir dürfen nicht eingreifen, wir können nichts tun. Wir können diese menschliche Katastrophe mit unserem bisherigen Auftrag nicht abwenden.“

Die HVO will Mostar zur kroatischen Stadt machen

Es sind nicht nur einfach mehr militärische Auseinandersetzungen, die sich zwischen den kroatischen Streitkräften der HVO und der bosnisch-herzegowinischen Armee abspielen. Seit die kroatische Seite dazu übergegangen ist, die „Kontrolle“ über die gemischten Gebiete Zentralbosniens zu übernehmen, wird eine Taktik gegenüber der bosnisch-muslimanischen Seite verfolgt, die der der Serben in Ost- und Nordbosnien ähnlich ist. Es ist eine Taktik der systematischen „ethnischen Säuberung“ mit all ihren Begleiterscheinungen. Es ist eine Taktik des Völkermords. Den Tod der 50.000 Menschen in Mostar hinzunehmen erscheint als Teil eines politischen Kalküls. Mostar, die alte Stadt an der Neretva, einstmals das Symbol der bosnischen Idee, des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Völker mit unterschiedlichen Religionen, soll zu einer kroatischen Stadt gemacht werden, zu „unserer Hauptstadt“, wie Mate Boban, der Präsident der selbsternannten Republik Herceg-Bosna betont.

Auch in anderen Städten sind solche Kessel entstanden. In Vitez wurden 2.000 MuslimanInnen von HVO-Truppen eingeschlossen, es wurde ein Getto geschaffen, das von niemandem verlassen und von außen völlig kontrolliert werden kann. Frauen, die sich ins Frauenhaus von Zenica retten konnten, gaben an, daß neben anderen Verbrechen auch Vergewaltigungen vorgekommen seien.

In dem Dreieck Tomislavgrad- Prozor-Jablanica sind spezielle Truppen der HVO, die Gesichtsmasken tragen, am Werk. Sie zerstören die muslimanischen Dörfer, zerstören und vertreiben die dort lebenden Menschen. Selbst der UNPROFOR ist es nicht erlaubt, dieses Gebiet zu betreten oder zu befahren. Kein Mensch weiß, welche Verbrechen in diesen Gebieten geschehen sind. Städte wie Gornji Vakuf und Konjic sind in zwei Einflußzonen geteilt, eine unsichtbare Mauer ist durch sie gezogen.

Über die Motive der kroatisch- westherzegowinischen Offensive in Zentralbosnien ist viel spekuliert worden. Bestärkt durch den Vance-Owen-Plan, der den Kroaten die Kontrolle über die Städte Travnik, Vitez, Busovaca und Kiseljak verspricht, forderte Boban schon Ende Januar die Kapitulation der bosnischen Armee BiH. Die Folge waren die Kämpfe in Gornji Vakuf, das damals mit Artillerie angegriffen wurde. Nur mühsam konnte in dieser Zeit die Ausweitung der Konflikte vermieden werden.

Es geht bei dem Kampf um die Städte um strategische, militärische und ökonomische Vorteile. So ist Vitez deshalb von der kroatischen Armee HVO für sich reklamiert worden, weil unterhalb des Zentrums der Stadt eines der größten Munitionswerke Ex-Jugoslawiens liegt. Der Staudamm und das Kraftwerk westlich von Jablanica ist nun in kroatischer Hand. Hier sollen nach Angaben von UNPROFOR sogar reguläre Truppen der kroatischen Armee HV an den Kämpfen teilgenommen haben.

Das Interesse liegt auf der Hand: Seitdem das Kraftwerk erobert ist, konnten die Zeiten für die Stromabschaltungen an der dalmatinischen Küste verkürzt werden. Dagegen leiden die von der bosnisch-herzegowinischen Regierung kontrollierten Gebiete in Zentralbosnien nun verstärkt an Energiemangel. Weiterhin sind diese Städte für die Kontrolle der Zufahrtswege in die zentralbosnischen Regionen sehr wichtig. Von hier aus können auch die kroatischen Siedlungsinseln nördlich von Sarajevo erreicht werden.

Keine Kämpfe zwischen Serben und Kroaten

Seltsam mutet an, daß seit Beginn der Offensive gegen die bosnische Armee die Kämpfe zwischen Serben und Kroaten zum Erliegen gekommen sind. Am zwischen Serben und Kroaten umkämpften Kuprespaß sind schon seit Monaten keine Schüsse mehr gefallen. So konnte auch die kroatische Artillerie von dort nach Gornji Vakuf und seit kurzem auch nach Travnik verlagert werden. Ebenfalls seit Monaten ruhig verhält sich die serbische Armee in Mostar.

Dagegen greifen die Serben an allen Fronten die bosnische Armee an. Verstärkte Kampftätigkeit wird seit Wochen aus Brčko und Gradacac berichtet, die Offensive gegen die südostbosnischen Enklaven hat mit den Kämpfen um Goražde einen traurigen Höhepunkt erreicht. Das traditionell von Muslimanen bewohnte Gebiet hin zur Drina ist nun fast schon vollständig von der moslemischen Bevölkerung „gesäubert“. Die Serben griffen im zeitlichem Einklang mit der Offensive der Kroaten auch die zentralbosnische Stadt Maglaj an.

Diese Umstände führten zu Spekulationen, Serben und Kroaten hätten in Bosnien-Herzegowina ihr Vorgehen abgesprochen. Mate Boban, diesbezüglich vom Verfasser befragt, dementiert dies zwar heftig. Die Äußerungen kroatischer Oppositionspolitiker in Zagreb deuten jedoch darauf hin, daß Boban gerade diese Strategie angelastet wird. Und für die bosnisch-muslimanischen Politiker besteht kein Zweifel, daß die beiden „christlichen“ Parteien sich abgesprochen haben, um die „Endlösung der Moslemfrage“ in Bosnien-Herzegowina herbeizuführen. „Die Moslems sollen kein Recht mehr erhalten, in der Region zu leben“, erklärte der Imam von Zenica in der vorigen Woche. Und die internationale Gemeinschaft unterstütze mit dem Vorhaben, die moslemische Bevölkerung in „Schutzzonen“ zu konzentrieren, die Pläne der beiden Kontrahenten.

Völlige Isolierung der bosnischen Gebiete

Andere bosnische Politiker gehen sogar davon aus, daß die Politik Bobans dazu führte, die Mitte April anstehende Intervention unter Führung der USA zu verhindern. Boban forderte am 15. April die bosnische Armee ultimativ auf, die Kontrolle in den umstrittenen Gebieten aufzugeben. Mit diesem Umstand wurde die Kriegslage derart verwirrt, daß Argumente für die Gegner einer Intervention geliefert wurden.

Zur Politik der Konfrontation gehört die völlige Isolierung der von der bosnsichen Regierung kontrollierten Gebiete durch die Kroaten. Die Kommunikationslinien sind abgebrochen, die Hilfslieferungen für diese Zonen werden behindert. Offensichtlich soll das restbosnische Gebiet von außen stranguliert und militärisch ausgeblutet werden.

Um so erstaunlicher ist der Wille im von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebiet, sich in diesem Zweifrontenkrieg zu behaupten. Weder in Gornji Vakuf, noch in Jablanica oder Konjic ist die Initiative verlorengegangen. Auch an den Fronten gegenüber den Serben konnten die Linien im wesentlichen gehalten werden.

In Travnik wurde in den letzten Tagen sogar ein vorläufiger Sieg errungen. Der bosnische Armee ist es gelungen, die kroatische HVO aus ihren Stellungen um die Stadt zu vertreiben. Dort hatte die HVO schon vor vier Wochen Artilleriestellungen und Flugabwehrgeschütze aufgebaut, die jedoch nicht auf den Himmel, sondern auf die Altstadt gerichtet wurden. Der in Travnik stationierten Eliteeinheit der bosnischen Armee, die 17. Brigade, die vor allem aus ehemaligen Gefangenen aus den serbischen Konzentrationslagern Manjaca und Omarska zusammengesetzt ist, ist es offenbar gelungen, den Ring um die Stadt zu durchbrechen. Die Flucht von Einheiten der HVO auf serbisch beherrschtes Gebiet und die Tätigkeit der serbischen Artillerie gegen die Verteidiger von Travnik lassen den Schluß zu, daß es auch hier punktuell zu einer Zusammenarbeit zwischen Serben und Kroaten gekommen war.

Auch Muslimanen kämpfen jetzt mit allen Mitteln

Diese neue Kampfmoral der bosnischen Armee ist der tiefen Enttäuschung geschuldet, daß die Intervention der UNO mit Hilfe der Nato abgewendet wurde. Seither haben sich in ihr zunehmend Kräfte durchgesetzt, die den Kampf mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln fortsetzen wollen. Das Massaker von Ahmici, wo am 16. April nicht nur 103 Menschen auf bestialische Weise umgebracht und viele Frauen vergewaltigt wurden, sondern auch der örtliche moslemische Geistliche zusammen mit seiner Frau mit Nägeln an das Portal der Moschee geschlagen wurde, hat zu einer psychologischen Wende geführt.

Die praktizierte Humanität der Muslimanen und die bosnische Idee müssen immer mehr der Forderung weichen, mit gleichen Mitteln gegen die Gegner vorzugehen. Respekt von den anderen Kriegsparteien zu erlangen sei nur möglich, wenn „wir ebenfalls Gewalt gegen die Zivilbevölkerung der anderen Seite anwenden“, erklärten schon vor Monaten muslimanische Intellektuelle in Zenica. Das Argument sei zwar zweischneidig, weil gerade die bisher praktizierte Humanität in der Welt Sympathien für die Muslimanen hervorbrachte, doch die unmittelbaren Gegner verstünden nur eine Sprache, die der Gewalt.

So sind nun auch Einheiten der bosnischen Armee dazu übergegangen, die Bevölkerung von Dörfern in der Umgebung Travniks, soweit es sich um Kroaten und Serben handelt, zu vertreiben. Nachdem so viele moslemische Dörfer zerstört und ihre Bewohner vertrieben wurden, wird nun teilweise auf der gleichen Ebene geantwortet. „Nur so jedoch werden sie uns akzeptieren“, erklärte kürzlich der Herausgeber von Slobodna Bosna (Freies Bosnien), Zenad Avdic.

In den Städten und Regionen um die Großstädte Tuzla und Zenica herum sind jedoch die Bürgerrechte für Nichtmoslems nach wie vor geschützt. „An der Front wird sicherlich jetzt härter gekämpft, hier in der Stadt aber werden wir an unserem alten Modell weiterhin festhalten. Und das lautet, die Repräsentanten von allen Bevölkerungsgruppen an den Entscheidungsprozessen in der Kommune und im Staat zu beteiligen“, sagte der Bürgermeister Zenicas, Spahic. Zentralbosnien werde so schnell nicht fallen, doch die Hoffnung für die Menschen in Mostar und Goražde zu überleben, sei gering geworden.