: Damit keine Luftblase entsteht
„Puppets against Aids“ – Ein Aufklärungs- und Erziehungsprogramm aus Südafrika ■ Von Gerd Hartmann
Die Art der Darbietung erinnert ein bißchen an die Sicherheitsansagen im Flugzeug. Auf dem Rasen vor der Kongreßhalle erklärt jedoch keine lächelnde Stewardeß den Umgang mit den Schutzeinrichtungen, sondern ein schwarzer Südafrikaner. Mit derselben routinierten Kühle – obwohl es nicht um den Gebrauch von Sauerstoffmasken, sondern von Kondomen geht. „Reißen Sie vorsichtig die Packung auf und entnehmen Sie das Kondom! Halten Sie die Spitze fest, damit keine Luftblase entsteht, und rollen Sie es über den eregierten Penis.“ Sodann führt der Mann die Technik an einem Styropor-Torso vor, das einzupackende Teil ragt senkrecht in die Abendluft.
Die Gebrauchsmustervorführung ist wichtiger Bestandteil der Arbeit von „Puppets against Aids“. Nach jeder Vorführung werden Schutzmaßnahmen gegen das tödliche Virus ausführlich diskutiert. Was im aufklärungsverwöhnten Deutschland leicht komisch wirkt, ist dort, wo die Gruppe sonst spielt, bittere Notwendigkeit. Die ländlichen Gebiete von Südafrika, Zimbabwe, Namibia und Sambia sind für Aids- Kampagnen über die Massenmedien kaum erreichbar.
1987 wurde das „African research and educational puppetry programme“ (Arepp) in Johannesburg gegründet. Mittlerweile ist die Gruppe auf 15 Mitglieder angewachsen. Zwei Ensembles touren parallel durch die Lande. Gespielt wird hauptsächlich auf der Straße, aber auch in Schulen, Hospitälern und Kirchen. „Puppets against Aids“ geht direkt auf den Zuschauer zu, sei es im Einkaufszentrum oder in einer Goldmine. Über 100.000 Menschen werden so jährlich erreicht.
Die Gruppen reisen mit leichtem Gepäck. Ein über den Körper des Spielers gestülpter Stoffschlauch dient als Puppenbühne. Am oberen Ende prangt die aus Holz ausgesägte Szenerie. Gemalte Bäume hinter einer runden Strohhütte machen deutlich, daß Aids kein städtisches Problem ist. Mit grauen Handpuppen wird eine einfache Geschichte erzählt: Joe ist verheiratet, außerehelichen Genüssen nicht abgeneigt und HIV- positiv, ohne es zu wissen. Kondome benutzt er grundsätzlich nicht, denn er liebt „Fleisch auf Fleisch“. Nicht bei allen Frauen kann er mit dieser Ansicht landen, das stört ihn jedoch nicht weiter. Als es Joe gesundheitlich immer schlechter geht, stellt ihm ein Arzt die bittere Diagnose. Joe stirbt, seine Frau, die er ebenfalls angesteckt hat, hält das neugeborene Baby in den Armen.
Vor einer moralinsauren Aussage hütet sich das zwanzigminütige Kurzstück. Auch die medizinische Seite bleibt nur ein Nebenstrang. Im Zentrum steht die Aussage, daß Aids im sexuellen Alltag überall präsent ist. Das kurbelt Diskussionen nach der Vorstellung an. Glaubt man den Erzählungen der Spieler, so muß es in den Dörfern dabei hoch hergehen. Das Publikum spielt die Geschichte nach. Mit den Puppen als Medium können die Zuschauer Dinge ansprechen und Fragen stellen, die ansonsten in den Tabubereich fallen würden.
In insgesamt 18 örtlichen Sprachen kann die Gruppe ihre Botschaft spielerisch vermitteln. Begleitende Comics liegen in ebenso vielen Sprachen vor. Vor größerem Publikum treten zwei Meter große Puppen in Aktion, die in Berlin leider nicht zu sehen waren. „Puppets against Aids“ versteht sich ausdrücklich als Erziehungsprogramm. In Workshops wird der Umgang mit den Puppen gelehrt. Damit soll die Gründung örtlicher Ensembles angeregt werden.
Die jahrzehntelange Unterdrückung durch die Apartheid hat die schwarze Bevölkerung skeptisch gemacht, selbst was den Gebrauch von Kondomen betrifft. „Bei vielen herrscht die Meinung, daß dies nur ein Mittel sei, um das Anwachsen der schwarzen Bevölkerung zu begrenzen“, erklärt ein Gruppenmitglied. Arepp würde nur deshalb akzeptiert, weil sie eine Zusammenarbeit mit der Regierung bis jetzt ablehnen. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich über Spenden.
Neben der Aids-Aufklärung widmet sich die Gruppe auch anderen Bereichen. Das neue Programm „Puppets for Peace“ soll mithelfen, die durch die Apartheid zerschlagenen Kommunikationstraditionen zwischen den verschiedenen südafrikanischen Kulturen wieder aufzubauen. Die Themen sind Gewalt, Frauen- und Kindesmißbrauch. Auch andere Gruppen aus der sogenannten Dritten Welt stellen ihre Arbeit im Rahmen von „Cultural Aids“ vor. Seit 1991 existiert im indischen Madras das „South Indian Action Programme“. Mit den Mitteln des traditionellen Schattenspiels wird hier die Aufklärungsbotschaft vermittelt. Ein Großwesir überzeugt seinen geilen Maharadscha durch einen Ausflug ins Volk von der Existenz der Krankheit. Auch bei diesem Märchen wird keinerlei monogamistische Puritanik verbraten. „Maw lum drama“ aus Thailand, deren Name ungefähr soviel bedeutet wie „populär erklärender Experte“, benutzen das traditionelle Tanztheater, um Tabuthemen wie Prostitution und Drogengebrauch zu behandeln.
6,5 Millionen HIV-Infizierte in Afrika, eine Million in Südostasien, eine Million in Südamerika – im Armutsgürtel der Welt ist Aids eine völkermordende Seuche. Außer Krokodilstränen bietet der reiche Westen wenig an. Auf dem medizinischen Sektor ist ohne Geld wenig zu machen, wohl aber in der Präventionsarbeit. Erfolgreiche Selbsthilfebeispiele scheinen aber weder den Mammutkongreß noch die Berliner zu interessieren. Eine Handvoll Zuschauer in den Vorstellungen sind beschämend. Gerd Hartmann
Am Samstag (Familienfest im Haus der Kulturen der Welt, 14–19 Uhr) und am Sonntag (Gartenschau Britz, 17 Uhr) treten nochmals Gruppen aus verschiedenen Kontinenten auf.
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