Auf der Galerie sind die Positiven unter sich

■ Die HIV-Lounge bietet für die Teilnehmer mit HIV und Aids medizinische Versorgung und Rückzugsmöglichkeiten / Mit 1.000 Betroffenen wird gerechnet

Der junge Mann wollte trotz hohem Fieber und Lungenentzündung unbedingt auf den Aids-Kongreß. Noch am Freitag, ehe er aus den USA losflog, wurde er bronchioskopiert. Den mikrobiologischen Befund ließ er nach Berlin schicken. Jetzt steht er im Arztzimmer auf der Galerie im ICC und verlangt ein entsprechendes Antibiotikum, das sich auch im Arztschrank findet.

Ab elf Uhr haben die Ärzte aus dem Auguste-Viktoria-Krankenhaus, die die medizinische Betreuung ehrenamtlich übernommen haben, alle Hände voll zu tun. „Die meisten kommen mit unspezifischen Beschwerden wie Schwäche, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit“, sagt Arzt Siegfried Köppen. Manchmal ist auch ein Abszeß oder eine Pilzerkrankung zu behandeln. Gerade Patienten aus der Dritten Welt nutzen auch die Möglichkeit, sich von einem auf Aids spezialisierten Arzt beraten zu lassen. Sie benötigen auch oft Medikamente, die entweder ausgegangen sind oder aus Angst vor Durchsuchungen an der Grenze gleich zu Hause gelassen wurden.

Für Medikamente gab es von der Kongreßleitung allerdings kein Geld, genausowenig wie für die ärztliche und pflegerische Betreuung. Die aidsspezifischen Präparate wurden von der Deutschen Aids Hilfe (DAH) organisiert oder von Pharmafirmen gespendet. „Ich habe aber auch meinen privaten Arztkoffer dabei“, sagt Wolfgang Schmidt. Aus dem Krankenhaus hat er auch ein Notfallequipment mitgebracht, falls jemand beatmet werden muß oder eine Infusion braucht.

Die Galerie ist für die Kongreßteilnehmer reserviert, die HIV-infiziert oder aidskrank sind. Hier befinden sich auch eine Pflegelounge, eine HIV-Lounge und ein Raum, in dem Drogenkonsumenten substituiert werden. Für viele bedeuten der hektische Betrieb im ICC, die Klimaanlage, die Kameras und auch die anstrengenden Vorträge und Workshops nach einer oft langen Reise eine große Belastung. Sie können sich auf den neun Liegen in der Pflegelounge ausruhen. Rund um die Uhr sind je zwei Pflegekräfte anwesend. „Manche wollen auch einen Verband gewechselt bekommen oder haben Magenschmerzen“, sagt Krankenschwester Esther Sordini. Auf dem Kongreß wird mit etwa 1.000 Betroffenen gerechnet. Die Kongreßleitung habe für die Teilnehmer mit HIV und Aids keine eigene Versorgung organisiert, so Michael Ewers von der DAH. Sie habe allerdings Räume und Telefone zur Verfügung gestellt. „Auch die Konferenz selbst ist nicht für Leute mit angeschlagenem Immunsystem eingerichtet.“ Viele kämen wegen langer Anfahrtswege morgens schon erschöpft an. Auch das ICC mit vielen Treppen und wenigen Rampen und Aufzügen sei sehr ermüdend.

Für manche ist die von der Berliner Aids Hilfe organisierte HIV- Lounge die einzige Möglichkeit, sich etwas zu essen zu besorgen. Ein halbes Brötchen kostet über vier Mark, für viele Teilnehmer unerschwinglich. In der Lounge stapeln sich bergeweise Sandwiches und Obst. „Hier können sie sich auch einfach unterhalten und Kontakte knüpfen“, so Karl-Anton Gerber von der BAH. Einige diskutieren über besuchte Workshops, andere blättern in den ausliegenden Broschüren, versorgen sich für die nächste Veranstaltung mit Proviant oder sitzen auf dem Balkon und schauen auf den Stadtring.

Zum ersten Mal wird auf einem Aids-Kongreß auch substituiert. Jörg Claus vom Modellprojekt Prenzlauer Berg gibt jeden Tag zu bestimmten Zeiten Polamidon an Drogenkonsumenten aus. Die Substituierten brauchen allerdings eine Überweisung von ihrem Arzt. Für diejenigen, die im Ausland nicht krankenversichert sind, hat er sogar einen Sponsor gefunden. „Als ein Substituierter aus Litauen hörte, daß er bei einem Privatrezept 15 Mark pro Flasche zahlen muß, wurde er ganz blaß. Das ist sein Monatslohn“, so Claus. Corinna Raupach