Ein falscher Anruf kann im Ernstfall tödlich sein

■ Gesetzentwurf zum Rettungsdienst schafft kein einheitliches Notrufsystem

Müssen in Berlin Menschen sterben, weil es keine einheitliche Rufnummer für medizinische Notfälle gibt? Auch im neuen Gesetzentwurf der Innenverwaltung für die Berliner Rettungsdienste, der derzeit im Abgeordnetenhaus beraten wird, ist eine verbindlich festgeschriebene zentrale Rettungsleitstelle nicht vorgesehen.

Wer sich krank fühlt, könnte also auch zukünftig vor die Wahl gestellt werden: Soll der Notruf 112 der Feuerwehr angewählt werden oder eine der beiden Nummern des Kassenärztlichen Notfalldienstes? Mit letzteren ist sicherlich gut beraten, wer nur an einer Sommergrippe leidet, gegen die Tabletten helfen.

Was aber, wenn der Betroffene Symptome eines Herzinfarktes zeigt? Dann kann ein Anruf beim Kassenärtzlichen Notfalldienst genau das Falsche sein. Denn erst wenn der Arzt vor Ort feststellt, daß der Betroffene in akuter Lebensgefahr schwebt, informiert er den Notruf der Feuerwehr – eine bürokratische und zeitraubende Prozedur, die nicht selten lebensgefährlich werden kann.

Nach wie vor ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, daß der Kassenärztliche Notfalldienst, der von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) betrieben wird, für akute Notfälle gar nicht ausgerüstet ist. Vorrangig hat er laut Gesetz die ärztliche Versorgung – etwa an Feiertagen und Wochenenden – sicherzustellen und versteht sich, wie KV-Sprecher Wilfried Nax erklärt, als „Erste-Hilfe-Dienst“.

Ob sich die KV mit ihrem Notfalldienst einer zentralen Rettungsleitstelle in Berlin anschließt, bleibt abzuwarten. Im Gesetzentwurf wird der KV weiterhin eine Hintertür offengelassen. Dort heißt es in Paragraph 8, Absatz 3: „Die Kassenärztliche Vereinigung kann sich zur Steuerung der Einsätze des Kassenärztlichen Notfalldienstes der Rettungsleitstelle (der Feuerwehr; die Red.) anschließen.“ Sicher ist bislang nur: Eine Verpflichtung ergibt sich für die KV daraus nicht.

Horst Kliche, für die SPD im Gesundheitsausschuß des Abgeordnetenhauses, will den Entwurf aus der Innenverwaltung in der jetzigen Fassung nicht hinnehmen: „Entweder der Kassenärztliche Notfalldienst garantiert den Standard für akute Notfälle, wie ihn die Feuerwehr anbietet, oder er muß der Rettungsleitstelle untergeordnet werden.“ Als Modell verweist der Gesundheitspolitiker auf die weitaus unkompliziertere Regelung, die in der ehemaligen DDR herrschte: „Dort hat es mit der 115 nur eine zentrale Notrufnummer gegeben, und es hat hervorragend geklappt.“ Ein Hindernis könnten allenfalls die Kosten sein, glaubt Kliche: „Mir ist klar, daß eine solche Stelle erhebliche Kosten verursachen wird.“

Auch Bernd Köppl vom Bündnis 90/Grüne, selbst Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher seiner Fraktion, hält die Idee, den Einsatz der diensttuenden Kassenärzte im Notdienst über die Feuerwehr steuern zu lassen, für „überlegenswert“. So könnte in der dann geschaffenen Zentrale nach einem Notruf weitaus flexibler als bisher entschieden werden, ob für den jeweiligen Fall lediglich ein Hausarzt der KV ausreiche oder ein Notfallarzt der Feuerwehr geschickt werden müsse. Zudem könne dadurch auch die Sicherheit für den Bürger erhöht werden. Schließlich, so Köppl, „ist der Qualifikationsstand der Ärzte, die über die Kassenärztliche Vereinigung zu Notfällen geschickt werden, schon häufiger Gegenstand von Kritik gewesen“. Auch sei aus der Vergangenheit bekannt, daß die KV Schwierigkeiten gehabt habe, „ihre Leitzentrale ordentlich zu organisieren“.

KV-Sprecher Wilfried Nax weist die Kritik selbstverständlich zurück: „Unsere Leute sind sehr gut ausgebildet.“ In der telefonischen Annahmezentrale arbeite ausgebildetes Personal, das im Zweifelsfalle einen anwesenden Beratungsarzt befragen könne. Über den Anschluß der KV und ihres Notdienstes an die Rettungsstelle der Feuerwehr könne man „diskutieren“, meint Nax. Die Verpflichtung der KV zu einer gemeinsamen Notrufnummer hält er jedoch schon allein aus juristischen Gründen für ausgeschlossen. Grundlage für die Arbeit der KV und ihres Notdienstes sei nicht das Gesetz für die Rettungsdienste, sondern vielmehr die bundeseinheitliche Regelung nach dem Sozialgesetzbuch. Severin Weiland