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Das Referenzhandbuch

Soso, Sie haben also eine Zeichnung von Keith Haring erstanden. Ein Original, ja? Am besten, Sie beachten das brandneue Verzeichnis seines druckgraphischen Werkes gar nicht.  ■ Von Stefan Koldehoff

Der Künstler lag gerade mal im Sarg, als auch schon der Streit um sein geistiges Erbe begann. Gegenstand war eine Armbanduhr, Hintergrund die deutsche Vereinigung. Aus diesem Anlaß hatte der amerikanische Graffiti-Künstler Keith Haring noch kurz vor seinem Aids-Tod 1990 eine Grafik entworfen. Vier der für ihn so typischen Männchen hielten sich an den Händen und bildeten mit ihren überlangen Armen ein geschlossenes Quadrat. „BRDDR – Open 24 hours“ hatte Haring die Zeichnung überschrieben, die als Motiv für ein T-Shirt vorgesehen war. Eine deutsche Firma druckte die Zeichnung dann aber auf schwarz-rot- gelbe Billig-Plastikuhren, die unter anderem die Heidelberger Galerie Klaus Staeck zum Stückpreis von 90 Mark vertrieb. Inzwischen wird der Zeitmesser für das Zehnfache gehandelt. Gegen die nicht genehmigte Verwendung des Entwurfes protestierte der gralshütende „Estate of Keith Haring“ mit Sitz in New York zwar heftig; eine tatsächliche Handhabe gegen den deutschen Ideenklau aber hatte er letztlich nicht. Beide Parteien einigten sich schließlich stillschweigend außergerichtlich.

Tatsächlich hatte Keith Haring selbst keine Gelegenheit ausgelassen, mit tatkräftiger Unterstüzung durch die Medien seine publikumswirksamen Werke so umfassend wie möglich zu verbreiten. Auf eigene Kosten ließ er Buttons mit dem strahlenden Baby, dem tanzenden Hund oder dem fliegenden Supermann drucken. Harings Strichzeichungen wurden auf Plakaten und Postkarten verbreitet – auf diese Weise stiegen mit dem Bekanntheitsgrad des Künstlers auch die Preise für Harings limitierte Originalgraphiken.

Daß es sie neben den bekannten großformatigen Wandgemälden, U-Bahn-Zeichnungen und Mauergraffitis überhaupt gab, wußten lange Zeit nur wenige Kunstfreunde. Dabei war schon 1982 die erste Haring-Lithographie mit dem Titel„USA 19-82“ entstanden. In einer Auflage von gerade einmal 50 Exemplaren zeigt das 60 mal 80 Zentimeter messende Blatt eine doppelt mickymausköpfige Schlange, die sich durch ein rotes Haring-Männchen windet. Zwischen ihm und dem 1990 entstandenen Freundschaftsbild „Best Buddies“ schuf Haring schließlich weitere 213 Graphiken: filigrane Blätter, wie die Arbeiten zu William Burroughs „Apocalypse“, ungewöhnliche, wie das auf Leinwand gedruckte „Portrait of Joseph Beuys“, und typische, wie den „Ikonen“-Zyklus, in dem Haring kurz vor seinem Tod noch einmal seine bekanntesten Motive mythologisierte.

Durch seinen frühen Tod und oft extrem niedrige Druckauflagen ist die Zahl der verfügbaren Haring-Graphiken seit einiger Zeit natürlich begrenzt. Dadurch sind sie heute um so gesuchtere Sammlerobjekte. Seit so die Preise für seine Werke stetig ansteigen, werden deshalb neben Harings zu Lebzeiten freigiebig verteilten Filzstiftzeichnungen zunehmend auch die Lithographien und Radierungen gefälscht und vertrieben. Das jetzt erschienene Werkverzeichnis der vollständigen druckgraphischen Arbeiten kommt deshalb gerade zur rechen Zeit. Erarbeitet hat es mit Unterstüzung des Estate of Keith Haring der Schweizer Kunsthändler Klaus Littmann. In seiner Baseler Galerie präsentiert er zur Zeit die Ausstellung zum Buch.

Littmann bildet in seinem ×uvre-Katalog jedes Blatt in bestechender Druckqualität ab: die Farben leuchten beinahe so kräftig wie die der Originale. Neben Titel und Druckjahr informiert sein Buch außerdem über den Werkzusammenhang, in dem die Blätter entstanden, und über deren Auflage. Sammlern steht damit endlich das lange vermißte Referenzhandbuch zur Verfügung. Kunstfreunde mit kleinerem Portemonnaie aber werden auch ohne Kaufabsicht an einem schönen Bildband zu moderatem Preis ihre durch keine Fälschungsfurcht getrübte Freude haben.

Keith Haring: „Editions on Paper 1982-1990. Das druckgraphische Werk“, herausgegeben von Klaus Littmann, 192 Seiten mit 155 Farb- und 83 Schwarzweiß-Abbildungen, Broschur, Edition Cantz, Stuttgart, 58 DM

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