Zwischen den Rillen
: Geschlechtsreif herumlungernde Dorfjungen...

■ ...und weltkorrekteste Feministen: Terry Lee Hale und Adam Sherburne

„Oh what a World“ – diesen Ausruf kann nur tun, wer Distanz zum Geschehen hat und trotzdem ganz gerne mitmischt. „Oh what a World“ heißt auch der Song, der Terry Lee Hales erstem Album in Europa den Namen gab. Er steht an letzter Stelle, als Fazit der neun Balladen, in denen sich der Sänger aus Seattle als gänzlich einsamer Mann präsentiert.

Gerade diese Haltung aber läßt ihn so wunderbar melancholische Geschichten von anderen einsamen Menschen erzählen, die in amerikanischen Kleinstädten leben, wo feierabends noch zur Fiddle getanzt wird. Natürlich ist keiner von denen so verlassen wie Hales lyrisches Ich. Schon seinen spillerigen Knabenhelden läßt Hale die Wunden, die ihm die beklemmend enge texanische Dorfgemeinschaft zugefügt hat, dort verstecken, „where the weeds grow“.

In solch einer Umgebung lassen sich keine tröstenden Erfahrungen machen. Die Liebe kann nur eine „schöne Lüge“ sein, und ihre Folge, wie in „Call me Ann“, kann nur noch größere Isolation bedeuten.

Natürlich ist Hale kein echter Außenseiter. Der vierzigjährige Gitarrist und Songwriter arbeitet als Booker für diverse Clubs und spielte mit den verschiedensten Musikern in Städten, in denen er sich in Country, Ragtime, Rock und mexikanischen Rhythmen erprobte hatte. „Oh what a World“ ist aus all diesen Zusammenhängen heraus entstanden. Zu Gast sind nicht nur Carla Torgerson und Chris Eckman von den Walkabouts – Hale, der selbst nur die stählernen Gitarrensaiten schlägt, läßt die Instrumente nahezu paritätisch von Männern und Frauen in ständig wechselnder Besetzung spielen. Piano, Mandoline und Congas sowie auch Händeklatschen geben den Liedern den Schuß Fröhlichkeit, der für die Freude an dieser Welt dann doch nötig ist.

Violine und Kontrabaß dagegen lassen „The Boys are waiting“, das zentrale Stück der Platte, immer wieder sacht von Dur nach Moll rutschen. Hier ängstigt sich ein älterer Mann um ein zwölfjähriges Mädchen, dessen stürmische Lebensfreude er bald von den geschlechtsreif herumlungernden Dorfjungen zerstört wähnt.

Mit den Tonarten aber gleitet die männliche Sorge, die das Mädchen am liebsten einschließen ließe, allmählich in Resignation: „Boys will be Boys“ – so sind die Männer halt.

Gegen diese Auffassung wendet sich ganz entschieden Adam Sherburne. Auf „childMAN“ hat der Sänger und Gitarrist von Consolidated all seine Stücke gepackt, die nicht ganz in das Konzept seiner Band aus San Francisco zu passen scheinen.

Und doch: „Refuse to be a Man“, wie der Opener programmatisch heißt, bündelt zunächst einmal das Weltbild von Consolidated zu fünf Minuten resoluten Sprechgesangs. Kaptitalismus, Rassimus, Sexismus – alles ist eins; solange Männer Gewalt ausüben und nicht schwanger werden, gibt es Homophobie, solange Frauen unterdrückt werden, können Männer nicht frei sein. „Wir als Consolidated versuchen, keine Männer zu sein“, hatte auch Schlagzeuger Philip Stier einmal in dem Glauben versichert, die Welt sähe anders aus, wenn die männliche Vorherrschaft nur überwunden sei.

Nichtsdestoweniger zitiert Sherburne auf der Suche nach seinen musikalischen Vorbildern vor allem männliche Kollegen. Zum Beispiel Consolidated. „Composite Sketch“ und „Work for Food“ wären ohne das Vegetarier-Trio undenkbar. Auf die Techno- und Industrial-Zitate seiner Mitstreiter verzichtet Sherburne jedoch. Er läßt die Giganten der Musikgeschichte in den Kampf um das Erbe der Siebziger ziehen – etwa Jimi Hendrix mit seiner einstürzenden US-Hymne von Woodstock.

Seinen Heroen stellt Sherburne Waffen zur Verfügung, die bis ins kleinste Detail geschliffen sind. Die Kunst, filigrane Elemente zu dichten Folgen zusammenzustellen, hat Sherburne auf „childMAN“ so vielschichtig und dynamisch entfaltet, daß der Gewinner der Materialschlacht nur Sherburne selbst sein kann – jedes Stück ist ein potentieller Partyhit.

Bloß „False Positive“ könnte als – immerhin anspruchsvoller – Rauswerfer dienen. Gleich Joe Frank, dem in amerikanischen Alternativ-Kreisen beliebten Radioautor, trägt Sherburne in diesem Stück eine mystische Geschichte über wabernden Klangstrukturen vor: Die Endlosschleife einer rückgekoppelten Gitarre macht aus einem harmlosen Spielplatzaufenthalt einen zähen Alptraum.

Doch auch dieses Lied mag sich nicht allzuweit von der Welt entfernen. Verantwortlich für die Misere im Klettergerüst sind nämlich die Lügen des Mittelstands. Und das heißt auch hier: „male behavior“.

Was Hale, studiointerner Quotenregler, seiner Lyrik zuliebe verschweigt, Adam Sherburne posaunt's hinaus, doppelt und dreifach. Zumindest auf „childMAN“ ist er der weltkorrekteste Feminist. Claudia Wahjudi

Terry Lee Hale: „Oh What a World!“ (Normal)

Adam Sherburne: „ChildMAN“ (Intercord)