: „Frau erwache! Erkenne Deine Rechte!“
Die weltweiten Verletzungen von Frauenrechten werden auf der UN-Menschenrechtskonferenz vom 14.-25. Juni in Wien nicht behandelt / Am 15.6. findet daher parallel zum offiziellen Getümmel ein Frauen-Tribunal statt ■ Von Karin Flothmann
„Mann, bist Du der Gerechtigkeit fähig? Sag, wer gab Dir die souveräne Macht, mein Geschlecht zu unterdrücken?“ Mit diesen Worten leitete Olympe de Gouges 1791 ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ ein. Keine zwei Jahre waren seit dem Versprechen der Französischen Revolution auf „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ vergangen. Schwestern wurden tunlichst übergangen. Am 4. November 1793 wurde Olympe de Gouges dann ob ihrer Aufmüpfigkeit durch die Guillotine hingerichtet. In der Urteilsbegründung hieß es: „Olympe de Gouges, die mit einer exaltierten Vorstellungskraft geboren war, hielt ihr Delirium für eine Inspiration der Natur. ... Ein Staatsmann wollte sie sein, und das Gesetz hat die Verschwörerin dafür bestraft, daß sie die Tugenden vergaß, die ihrem Geschlecht geziemen.“
1791 war der blinde Fleck des Aufklärungszeitalters schon klar benannt. Menschenrechte, so das Fazit von Olympe de Gouges, müssen stets zwei Geschlechter haben, denn wenn sie keines haben, haben sie nur eins – das männliche. Auch 1948, gut 150 Jahre später, als die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte formulierten, fielen Frauen erst einmal unter den Tisch. „Menschenrechte“, so Charlotte Bunch, Professorin an der Ruttgers University in New Jersey, „waren für eine Handvoll weißer, heterosexueller, privilegierter und begüterter Männer vorgesehen.“ Als Leiterin des Center for Women's Global Leadership tritt sie für eine neue Definition der Menschenrechte ein, die über die traditionelle Menschenrechtspraxis und ihre Schranken hinausgeht.
Liest frau die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, so finden sich dort Sätze wie: „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“, und zwar ohne Ansehen von Rasse, Geschlecht, Religion oder Sprache. Außerdem darf „niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ Für Charlotte Bunch geht aus diesen Formulierungen klar hervor, daß Vergewaltigungen und häusliche Gewalt Formen der Folter sind. Frauenhandel und erzwungene Prostitution sind nach Bunchs Definition Formen sexueller Sklaverei und sollten explizit in der Konvention zum Verbot der Sklaverei enthalten sein. Gehören die Täter zum staatlichen Apparat, so wird sexuelle Gewalt auch vom Berichterstatter der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsorganisationen als Foltermethode anerkannt. „Warum“, so fragt Bunch, „werden Vergewaltigungen nicht auch als Verstoß gegen die Menschenrechte angesehen, wenn der Täter irgendein anderer Mann ist?“ Immerhin ist es Frauen egal, ob der Täter ein Polizist oder ein Nachbar ist.
Und die Journalistin Christa Wichterich fügte diesem Katalog in der FR weitere Aspekte hinzu: Die Bevorzugung männlicher Nachkommen führt in vielen Ländern zur Benachteiligung der Töchter bei Ernährung und medizinischer Versorgung. Aufgrund geschlechtsspezifischer Stereotype wird Mädchen häufig die Bildung verweigert. Frauen wird der Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen wie Boden oder Produktionsmitteln verwehrt. Lohndiskriminierung und geringe Aufstiegschancen vereiteln eine eigenständige materielle Sicherheit. Die politische Partizipation wird Frauen in der Regel schwer gemacht oder verwehrt. Und ein selbstbestimmter Umgang mit dem eigenen Körper und der Fortpflanzung wird nach Ansicht Wichterichs durch patriarchale Bevormundung, religiöse Vorschriften oder politische Maßregelungen verwehrt.
Organisationen wie amnesty international setzen sich seit einigen Jahren verstärkt für Frauen ein. Doch sie unterliegen dem selbstauferlegten Mandat. Menschenrechte schützen den Bürger vor gewaltsamen Eingriffen des Staates, lautet die gängige Begründung. Und so beschränkt sich auch das Mandat von amnesty im Fall von Frauenrechtsverletzungen darauf, nur dann tätig zu werden, wenn ein Staat als Täter auftritt. Dies entspricht nach Auffassung des ehemaligen amnesty-Vorstandssprechers, Karsten Lüthke, dem international gültigen Menschenrechtsbegriff. Von einer Ausweitung auf die private Gewaltsphäre, auf häusliche und sexuelle Gewalt hält er nichts, „da ansonsten der Menschenrechtsbegriff konturlos“ würde.
Auf diesem Hintergrund resümiert Irene Maier, Ende der 70er Jahre Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtsfragen bei der Europäischen Kommission, ihre Erfahrungen nüchtern: „Die rechtliche und soziale Unterprivilegierung der Frau wird, da es dabei nicht um die Vorherrschaft über Völker durch andere Staaten oder die Unterdrückung von Minderheiten durch Regierungen, sondern ganz allgemein um die Vorherrschaft des Mannes in fast allen Gesellschaften geht, von den Herrschenden weiterhin nicht als politisches Problem empfunden.“ „Die Einhaltung der Menschenrechte sind Ausdruck von politischer Moral und Verantwortung“, meinen auch Cheryl Benard und Edit Schlaffer, beide Begründerinnen von „amnesty for women“. Angesichts der Tatsache, daß sich Hunderttausende weltweit auf der Flucht vor Krieg und Hunger befinden, darunter in erster Linie Frauen, können beide nur eine internationale „Bankrotterklärung der Politik an die Humanität“ feststellen.
Wichtigstes internationales Instrument zur Durchsetzung von Frauenrechten ist das „Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau“ (CEDAW). Bemerkenswert bleibt, daß CEDAW, – das bisher einzige UN-Menschenrechtsinstrument für Frauen – mehr Vorbehaltsklauseln hat, als jede andere UN-Konvention. Viele der 118 Staaten, die das Übereinkommen seit 1979 unterzeichneten, drücken sich mit diesen Klauseln um die Erfüllung der Übereinkunft in ihren Ländern. Andere Regierungen, darunter auch die der USA, sind dem Abkommen gar nicht erst beigetreten.
Daß Frauenrechte nicht im Mittelpunkt der offiziellen UN-Menschenrechtskonferenz stehen, die am Montag in Wien beginnt, ist angesichts dieser Realität nicht verwunderlich. Doch Frauen aus aller Welt bleiben nicht stumm. Unter dem Titel „Gewalt gegen Frauen verletzt die Menschenrechte“ überreichten sie der UNO eine Petition mit mehr als 250.000 Unterschriften. Parallel zum UN–Kongreß finden auf dem Forum der Nichtregierungs-Organisationen vom 14.-25.6. täglich internationale Workshops, Podiumsdiskussionen und Demonstrationen in Wien statt. Und am 15. Juni wird ein internationales Tribunal zu weltweiten Verletzungen der Frauenrechte abgehalten. Die Worte, mit denen sich Olympe de Gouges 1791 an ihre Geschlechtsgenossinnen wandte, scheinen auch heute noch gültig: „Frau erwache! Die Sturmglocke der Vernunft durchhallt das Universum, erkenne Deine Rechte!“
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