Drei wollen dasselbe, nur anders

■ Vor 2.000 Berliner GenossInnen präsentierte sich das Trio der Möchtegern-SPD-Parteivorsitzenden harmonisch beim einzigen gemeinsamen Auftritt

Berlin (taz) – Nachdem die drei Kandidaten programmgemäß jeweils eine Stunde geredet hatten, wandte sich eine ältere Genossin aus Ost-Berlin etwas ratlos an Gerhard Schröder: „Was unterscheidet euch, so daß ich überzeugt bin, ich muß dich wählen?“. Die Antwort bereitete dem niedersächsischen Ministerpräsidenten sichtlich Probleme. „In 95 Prozent der Politik der Partei“, so umschrieb er sein Verhältnis zu den Mitbewerbern um den Parteivorsitz, Rudolf Scharping und Heidemarie Wieczorek-Zeul, „sind wir einer Meinung“. Wie sollte es auch anders sein – immerhin kennen sich die drei seit ihrer gemeinsamen Juso- Zeit in den siebziger Jahren. Bei ihrem bundesweit einzigen gemeinsamen Wahlauftritt stimmte denn auch Schröder „der Heidi“ in vielen Punkten wie der Frage der Blauhelmeinsätze ausdrücklich zu, während sie wiederum nicht alles wiederholen wollte, was Scharping gesagt hatte, es gebe ja auch Gemeinsamkeiten.

Bei soviel Gleichklang hatten es die Berliner Sozialdemokraten schwer, inhaltliche Kriterien für ihren Wahlgang am kommenden Sonntag an die Hand zu bekommen. Doch war sich ein Gutteil der rund 2.000 Genossinnen und Genossen, die sich am Mittwoch abend in der Kongreßhalle am Alexanderplatz einfanden, ihrer Haltung bereits gewiß. Die Parteirechte, innerparteilich die tragende Säule der in Berlin regierenden Großen Koalition, favorisierte Scharping, wohingegen die Linke, die in Berlin in der Mehrheit ist, zwischen Schröder und Wieczorek-Zeul hin- und hergerissen war. „Kopf- an-Kopf-Rennen“ war die häufigste Prognose, die die Partei- Auguren vor der entscheidenden Runde trafen. Wessen Meinung noch nicht vorgefaßt war, dem halfen am Mittwoch abend auch die Wahlprüfsteine wenig, die der stellvertretende Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse vor der Matadorenrunde formulierte. Er verlangte von den Kandidaten eine besondere Zuwendung für Ostdeutschland und realistische Zukunftsvisionen. Nun war bislang die Zuwendung zu Ostdeutschland bei allen dreien alles andere als besonders gewesen und alle drei waren auch von der einen gleichen Vision besessen: der nächste Bundeskanzler darf nicht mehr Helmut Kohl heißen.

Den entscheidenden Eindruck hinterließen die Kandidaten an diesem Abend weniger mit dem was sie sagten, als vielmehr mit der Art, in der sie sich präsentierten. Scharping als der ehrliche Makler, der die Ebene bereits durchmißt, wo andere noch vor ihrer Mühe zurückschrecken. Er entwirft keine Programmatik, sondern kniet sich mit spröden Worten in die Notwendigkeiten ihrer Umsetzung. Mitreißen kann er auf diese Weise kaum jemanden im Saal, aber er überzeugt in dem Maße, wie er Argument um Argument sein Gegenüber auseinandernimmt und Sachzwang um Sachzwang die eigene Position aufbaut. Geradezu preußisch selbstdiszipliniert fordert der Rheinländer, die Kultur des Streites abzulösen durch eine Kultur der gemeinsamen Verantwortung.

Scharping und Schröder halten jeweils eine Kanzlerkandidaten- Rede. Wieczorek-Zeul ist die einzige unter den dreien, die sich in ihren Ausführungen ausführlicher der Lage der Partei widmet. Wenn sie für eine starke Mitgliederpartei eintritt und vor der Tendenz zur „Medienpartei nach amerikanischen Muster, die nur zu den Wahlen mobilisiert“, warnt, kann sie sich der Zustimmung der Parteilinken sicher sein. Die erkennt bereits im Mitgliederforum, eine Erfindung der Berliner SPD, weniger eine Stärkung der Basisdemokratie als vielmehr eine Aushebelung gewachsener Willensbildungsstrukturen der Partei. Die sozialdemokratische Seele nicht nur der Linken im Saal rührt es, wenn Wieczorek-Zeul betont von der SPD als einer linken Volkspartei redet und für eine Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur plädiert. Wenn sie betont, beides sei kein Teilzeitjob, weiß man, daß der Parteivorsitz ihre ganze Kraft erfordern würde.

Der, auf den dieses Plädoyer gemünzt ist, warnt im Gegenzug vor einer Zersplitterung. Eine Konzentration der Ämter ist für Schröder „schlichte Notwendigkeit, wenn wir jemanden verdrängen wollen, der die Technik der Macht beherrscht“. Der Doppelkandidat macht überdeutlich, daß er dieser Notwendigkeit gehorchen will. Wenn er von der Bündelung der Kräfte spricht, agiert rhetorisch fesselnd ein Kraftbündel am Mikrophon, ganz Verkörperung des sozialdemokratischen Machtanspruchs. Die Menge im Saal läßt sich von seinem alles auf eine Karte setzenden Vorwärtsdrängen begeistern und Schröder ginge wohl als Sieger aus der Runde hervor, wenn er nicht eine, gerade für viele mit ihm sympathisierende Linke bedenkliche Machtfülle beanspruchen würde. Das läßt die Menge wieder in jenes bedenkende Einerseits-Andererseits verfallen, mit dem bereits, weit weniger gewichtig, die pfälzische Herkunft Scharpings gleichermaßen als Indiz genommen wurde, ihn nicht zu wählen („13 Jahre Pfälzer im Kanzleramt sind genug“), als auch in ihm den Garanten für das gerade an der Regierungsspitze geforderte besondere Stehvermögen zu erkennen. Dieter Rulff