Appelle gegen Fremdenhaß prägen Kirchentag

■ PolitikerInnen und TheologInnen fordern außerdem Umdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft / Stoiber und Kronawitter wurden mit Buhrufen begrüßt

München (dpa/epd) – Die Forderung nach einem Umdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zugunsten kommender Generationen und der Dritten Welt hat gestern den 25. Evangelischen Kirchentag in München bestimmt. So warnte der SPD-Politiker Erhard Eppler vor einer einseitigen Ausrichtung der deutschen Politik am Wirtschaftswachstum. Der für die Zukunft dringend notwendige ökologische Umbau der Wirtschaft scheitere schon seit Jahren aus Angst vor einer Schwächung der Konjunktur. Und der stellvertretende SPD-Vorsitzende Wolfgang Thierse verlangte eine Abkehr von der „Politik der Besitzstandswahrung“.

Bei einem Podiumsgespräch forderten die TheologInnen Dorothee Sölle und Eugen Drewermann eine grundlegende gesellschaftliche, politische und theologische Neubesinnung in Europa. Ungerechtigkeit, Armut und Elend in der Welt könnten beseitigt werden, wenn das Sicherheitsdenken aufhöre und der „Aufmarsch in neue Kriege“ gestoppt werde, sagte Drewermann. Im Hinblick auf „friedenserzwingende Maßnahmen“ der Vereinten Nationen – wie in Somalia – erklärte er, die christliche Antwort auf Gewalt könne nicht wieder Gewalt heißen.

„Die Götzenherrschaft geht mit dem Individualismus Hand in Hand“, kritisierte Sölle das von Drewermann verteidigte Streben nach individuellem Glück. In Deutschland sei zudem festzustellen, daß die „sogenannten Solidarpakte“ die Gerechtigkeit im Land zu zerstören drohten.

Wie bei den 55 Gottesdiensten zur Eröffnung des protestantischen Laientreffens am Mittwoch abend waren auch am Donnerstag zahlreiche Veranstaltungen von Besorgnis über Gewalt und Fremdenhaß in Deutschland geprägt. Den Deutschen falle es noch immer schwer, Fremden Gastfreundschaft zu gewähren, hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Klaus Engelhardt, am Mittwoch bei einem christlich-jüdischen Gottesdienst in der KZ-Gedenkstätte Dachau beklagt. Und die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP), appellierte an alle, sich nicht um „ein Gespräch mit denen zu drücken, die Fremde als Bedrohung empfinden.“

Mit Pfiffen und Zwischenrufen begleiteten mehrere Dutzend Demonstranten die Grußworte von Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) und dem neuen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Nur mit Mühe gelang es Kronawitter und Stoiber, ihre Reden zu Ende zu bringen. Kronawitter bezeichnete die Demonstranten als „armseliges Häufchen“ und rief die „breite Mehrheit“ der Kirchentagsbesucher auf, sich nicht von „radikalen von Links und Rechts“ beeinflussen zu lassen. Stoiber unterstrich, seine Regierung setze auf die Kraft der Argumente, nicht die des Kehlkopfes. Während er sprach, hielten Demonstranten ein Transparent mit der Aufschrift „Wie lang noch hören wir den Brandstiftern zu“ hoch. Andere riefen „Hau ab“, „Heuchler“ oder „Rassist“. Kurze Zeit sah es so aus, als würde es zu Auseinandersetzungen zwischen den Demonstranten und Polizisten kommen, die die Gruppe langsam einkreisten. Doch auf Appelle der Kirchenleitung hin blieb alles ruhig.