Spielen, streiten, schlemmen und ein bißchen segeln

Einheimische flüchten, Touris verstopfen Autobahn, Stadt und Hafen — doch trotz aller Unkenrufe gibt's auch in diesem Jahr eine  ■ Kieler Woche

Einmal im Jahr heißt es für die Landeshauptstadt in Schläfrig-Holzbein (umgangssprachlich spöttisch liebevolle Bezeichnung für das nördlichste Bundesland) aufgewacht: Die Kieler Woche kommt. Dann ist in Kiel das Leben bunt und turbulent, besser noch als an dem ersten, warmen Sonnentag, der die Kieler ins Freie treibt und aufblühen läßt. Während der Kieler Woche allerdings trifft man auch bei Regen jung und alt an fast jeder Ecke in der Fördestadt. Sogar die Farbe des Wassers scheint sich während der Kieler Woche zu ändern: Es ist weiß statt blau.

Doch nun zum Ernst der Sache. Wichtigster Gedanke für die Kieler Woche nach dem zweiten Weltkrieg war es, eine Woche der Freunschaft, der Begegnung und der firedlichen Diskussion zwischen unterschiedlichsten Menschen entstehen zu lassen. So ganz nebenbei ist die Kieler Woche das größte Segelereignis der Welt. Über 1326 Boote mit rund 4000 verrückten Seglern sind in diesem Jahr gemeldet. Im Laufe der Jahre wurde Das Sport-und Kulturereignis ein wichtiges Aushängeschild der Landeshauptstadt.

Bis vor einem Jahrzehnt war der jeweilige Bundespräsident Gast und „Eröffner“ der Kieler Woche. Vorbei, das gehört der Vergangenheit an. Immer schwieriger wurde es, attraktive Kongresse als gesellschaftlicher Mittelpunkt der Woche zu veranstalten. Denn wie es schon die Rathausturmuhr seit fast einem Jahrhundert verkündet: „Kiel hat kein Geld, das weiß die Welt, ob's noch was kricht, das weiß man nicht.“ Seit zwei Jahren ist der städtische Zuschuß von 1,2 Millionen Mark eingefroren. Nur mit Hilfe von Sponsoren, erklärte ein Sprecher der Stadt, könne die bunte Vielfalt in diesem Jahr aufrechterhalten werden. Oberbürgermeister Otto Kelling sieht gar schwarz für die Zukunft, wenn die Kommunalpolitiker ihre Entscheidung nicht überdenken und bereit sind, mehr Geld für dieses Volksfest auszugeben.

Doch trotz aller finanziellen Probleme – geblieben ist der Anspruch, in jedem Jahr auch mit zahlreichen, kleineren Diskussionsveranstaltungen die Kieler Woche unter ein aktuelles politisches Thema zu stellen. In diesem Jahr lautet das Motto: „Europa 93 – Angst und Hoffnung“. Ungewollt hochaktuell, so ein Sprecher der Stadt, sind einige der dabei angesprochenen Themen, wie zum Beispiel „Vom In- zum Ausländer, doppelte Staatsbürgerschaft jetzt!“ – gemeinsam organisiert von dem Kommunikationszentrum die Pumpe, dem städtischen Referat für AusländerInnen, der Konferenz für interkulturelle Zusammenarbeit in Kiel – oder „Bevölkerungswanderung – eine Herausforderung für Europa“ vom Weltwirtschaftsinstitut organisiert, sowie eine Diskussionsrunde des internationalen Städteforums zum Thema „Jugendliche und Gewalt“ mit Vertretern aus 15 Städten des Ostseeraums.

Doch jedes Jahr nach dieser Woche wird nicht so sehr über das Politische geredet, sondern andere Themen bestimmen die Gespräche der Menschen: Was hat wer auf dem internationalen Markt auf dem Rathausplatz, mit seinen Gaumengenüssen aus 40 Ländern, gegessen? Welche Aktionen auf der Spiellinie, direkt am Wasser, mit Workshops, Unterhaltung und Musik am besten gefallen haben, oder wann man wen wo endlich mal wieder getroffen hat. Nicht fehlen dürfen natürlich die Klagen, daß Champignons und Champagner viel zu teuer waren. Dennoch, schön war das Volksfest allemal, ist meist die einhellige Meinung aller Besucher.

Aber ob es immer noch eine Woche aller Kieler ist? Es soll eine immer größer werdende Zahl von Bürgern der Stadt geben, die es schon seit Jahren vorziehen, dem Trubel zu entgehen, und erst in die Stadt zurückkehren, wenn die Bürgersteige wieder brav um 18 Uhr hochgeklappt werden. Kersten Kampe