Ära Neumeier wird 20

19. Hamburger Ballett-Tage: Mit Ballett-Eleven  ■ Unterwegs

Seit 20 Jahren bringt John Neumeier, stets kontrovers diskutiert, der Stadt das Tanzen bei. Die diesjährigen Hamburger Ballett-Tage, die vergangenen Donnerstag begannen, stehen folglich ganz im Zeichen dieses Jubiläums.

Der Eröffnungsabend Unterwegs auf Kampnagel war gleich auf zweifache Weise mit Neumeier verbunden. Er wurde von Schülern der Ballettschule der Hamburgischen Staatsoper — Leiter: John Neumeier — getragen und führte zum einen die Qualität der dort geleisteten Ausbildung vor. Zum anderen setzte er sich aus drei kleineren Arbeiten älteren Datums — Choreographie: John Neumeier — zusammen. Er bot Ballettkennern also nicht Neues, aber — und auch das ist interessant — einen kleinen Querschnitt durch das Formenspektrum des Ersten Hamburger Vortänzers.

Ein Menschenknäuel, das sich langsam entwirrt. Sich dehnende, spreizende, zuckende Körper. Der erste Teil des Abends Die Stille zeigt nach einer Musik von Georg Crumb rohes, bewußt fremd gehaltenes Bewegungsmaterial, aus dem sich nur zögernd eine Ordnung herauskristallisiert. Lasiert von einer dekorativen Lichtführung und abstrakt angelehnt an die Geschichte Christi, erscheint das Ganze mythenschwanger.

Anders der zweite Teil. In Vaslaw, einer Hommage an Nijinsky nach der Musik von Johann Sebastian Bach, kontrastiert Neumeier klassische Elemente des Balletts mit einer modernen, expressiven Körpersprache. Zwischen tanzenden Paaren irrlichtert ein Solotänzer, verzehrt sich in Raserei und sinkt schließlich gebrochen zusammen. Die Choreographie erzählt in schlichten Tableaus von der Einsamkeit eines Menschen, der keinen Anschluß an die anderen findet — und das, ohne in Gefälligkeit abzugleiten.

Auch in Rondo, dem Stück, das das kleine Triptychon abschloß, ist das Mittel der Kontrastierung entscheidend. Harmonische, sich einfachen Tänzen annähernde Bewegungsabläufe werden durch Einbrüche von Disharmonien jäh unterbrochen. Lange Zeit gelingt es Neumeier, diese Elemente auszubalancieren. Am Schluß aber setzt sich doch durch, was seine Arbeiten stets bedroht, was er in seinen gelungenen Momenten jedoch unter Kontrolle halten kann: der Kitsch. Eben noch wurden die Körper von einem Tänzer mit den Bewegungen eines Lagerkommandeurs einfach von der Bühne gewischt — da siegt doch noch die Harmonie. Dazu erklingt Scarborough Fair von Simon and Garfunkel, und die Figuren gerieren sich, als sei Disharmonie nie gewesen. Das war dann doch ein allzu süßlicher Abschluß eines komplexen Ballettabends. Dirk Knipphals

Noch heute, Kampnagel, K 6, 20 Uhr