Familiäre Liebschaften

■ "Der gestohlene Gott" von Hans-Henny Jahnn posthum uraufgeführt / Diplom-Inszenierung von Christian Liffers im TiK

von Hans-Henny Jahnn posthum uraufgeführt / Diplom-Inszenierung von Christian Liffers im TiK

„Alle Sünden sünden, alle Lieben lieben!“ – wie soll dieser Wunsch in einer bürgerlichen Welt, zumal innerhalb einer Familie erfüllt werden? Die Liebe dreier Geschwister findet in Hans Henny Jahnns posthum uraufgeführten Tragödie Der gestohlene Gott ihren Platz nur im Tod. Dem Regiestudenten Christian Liffers gelang im Thalia in der Kunsthalle (TiK) eine publicity-trächtige, nicht nur literaturhistorisch lohnende Ausgrabung des 1924 geschriebenen Dramas.

Eine verzwickte Familienbande wie es sie nur im Mythos gibt: Zwei Zwillingsschwestern bekamen gleichzeitig einen Sohn von Hygin. Der heiratete die eine Schwester, die andere heiratete Hygins Zwillingsbruder Sebald. 15 Jahre später entsteht zwischen den von ihrer Verwandschaft ahnungslosen Söhnen Leonhard und Leander eine Liebe. Dritte im Bunde wird Leonhard Hygins Schwester Wendelin.

Meike Wohltmanns Kostüme trennen am offensichtlichsten die bürgerlichen Eltern von den ganz in weiß gekleideten Kindern mit ihrem reinen, vernunftsfremden, mythischen Geist. Ulrike Grote, Jan Maak und besonders Harald Fuhrmann verkörpern schmerzhaft und lustvoll ungebändigte Sehnsucht, ein Streben nach Göttlichkeit und die verzweifelte Suche nach Identität. Jochen Regelien und Doris Buchrucker differenzieren gekonnt ihre Doppelrollen: Frau Sebald, in der Liebe zum Sohn Leander den Kindern am ähnlichsten, offenbart die ganze Palette von Gefühlen bis hin zum totalen Zusammenbruch. Ihrem Gatten untergeordnet ist Frau Hygin zu eigenen Empfindungen nicht fähig und kann nur mit Selbstmord reagieren. Sebald, der das Spiel beobachtet, nicht an die Kinder gebunden ist und für ihre Liebe plädiert, dient als Gegenpol zum kaltherzigen Hygin, der gegen den Inzest ist.

Liffers nicht körperscheue Inszenierung unterstreicht die Dramatik zwischen den Figuren. Nachdem die Fronten geklärt sind, die Kinder auf der Flucht dem Selbstmord entgegenschreiten, versackt er jedoch leicht im Pathos von Jahnns Text. Nur Mutter Sebalds Sorge um Leander sorgt da für spannende Momente. Ansonsten dominiert nun die Optik mit wunderschön farbig wechselnder Beleuchtung von Dagmar Bauers Bühne: Kantige schwarze Felsen, die auf ein Podest führen, und fast bühnenhohe spitze Tüten aus Papier vermitteln eine archisch-märchenhafte Stimmung.

Beim opulenten Schlußbild, natürlich mit nackt darniederliegendem Jüngling und der kleinen Bronzestatue des „gestohlenen Gottes“, rieselt blutrotes Pulver aus einer der Tüten zu Jahnns expressiven Schlußworten. Hier wünschte man sich fast, die Tüte würde platzen. Niels Grevsen

Weitere Vorstellungen: TiK, heute, 20 Uhr; 15. 6., 21 Uhr; 16. 6., 20 Uhr