Mutlose Produzenten und ein knausriger Staat

■ Rückblick auf die Theatersaison 92/93 Teil II: Außerhalb des Staatsbetriebes dominierten Geldprobleme und künstlerische Stagnation

: Außerhalb des Staatstheaterbetriebes dominierten Geldprobleme und künstlerische Stagnation

Auch außerhalb des Staatstheaters blieben in der zurückliegenden Saison die Antworten auf ein qualitatives „Wohin?“ des Theaters unbeantwortet. Ließen sich bei den Privattheatern mit ihrer festgefügten Publikumsstruktur mutige Versuche wohl auch nicht erwarten – sieht man einmal von den Kammerspielen ab, bei deren Neustart doch etwas größere Hoffnungen an die inhaltliche Dimension gestellt waren, als sich letztendlich erfüllten – so blieb auch Kampnagel durchaus den Beweis dafür schuldig, daß es sich bei der Internationalen Kulturfabrik noch um ein theatralisches „Forschungslabor“ handelt. Lediglich das dort beheimatete Jugendtheater bemüht sich um eine zeitgemäße Form, und das, obwohl die von der Kulturbehörde auferlegte Beweispflicht für die eigene Sinnvolligkeit sicherlich kein Stimulans für Theaterexperimente darstellt.

Kampnagel

Nach dem Sturm um Schulden und Zukunft des Geländes, der nach dem riesigen Defizit des Jahres '91 einige Monate tobte, ohne allerdings irgendwelche strukturellen Einsichten zu zeitigen, legte sich auf das Gelände am Osterbekkanal eine gewisse künstlerische Windstille. Sicherlich auch verursacht durch den verhungerten künstlerischen Etat, der nach dem Abzug der Schuldentilgung übrig blieb, aber eben nicht nur deswegen allein, blieben die unvergeßlichen Theatererlebnisse diesmal aus. Sicherlich gab es schöne und beeindruckende Stücke gerade auch von einigen Freien Produzenten zu sehen, aber wirkliche, vitale Impulse, Theater, das über den Tag hinaus spricht, Ansätze, die es sich zu diskutieren lohnt, ja die mit Urgewalt an die Oberfläche drängen, suchte man an dem Produktionsort Kampnagel vergeblich. Ein wenig blieb der Eindruck haften, das Freie Theater am Standort Hamburg beschäftigt sich momentan mit Hirngespinsten, Formeln des Stadttheaters oder sich selbst.

Auch wenn man ausdrücklich noch einmal darauf hinweist, daß die finanzielle Ausstattung der Freien Produzenten, die ja neben den unentwegten Festivals den Schwerpunkt des Kampnagel-Spielplans ausmachen, mit gesamt 700 000 Mark durch die Kulturbehörde erbärmlich ist, so bleibt die

thematische und formale Arbeit dieser dennoch ein gewisses Rätsel. Die biedere, uninspirierte und auf Kampnagel völlig deplazierte Inszenierung von Leonce und Lena durch das TheaterEnsemble Hamburg mag hier das negativste Beispiel sein, aber auch andere Gruppen scheinen die produktive Suche nach Erneuerung aufgegeben zu haben und verschanzen sich in ihrem einstmal eroberten Terrain: das Norddeutsche Tanztheater, das TanzTheaterHamburg, die Gruppe Babylon oder Brigitte Leeser belegen diesen Trend. Wirklich überzeugen konnte aus den Reihen der Freien nur Gabriella Bußackers intellektuell-spielerisches Video-Theaterprojekt Traumrollen und Max Eipps Elfriede Czurda-Adaption Die Giftmörderinnen. Rica Bluncks Tanzprojekt COAX ließ mit Drifting und ihrem Anteil am Kassandra-Projekt außerdem eine hoffnungsvolle Entwicklung weg vom maschinellen Pathos hin zum sinnlich-kritischen Tanztheater erkennen, auch wenn die Ergebnisse noch nicht vollständig überzeugen können.

Wirkliche Innovation bot auch der Gastspielplan des Kampnagel- Leiters Hans Man in't Veld nicht. Sicherlich auch als Resultat der knappen Finanzmittel gab es überhaupt nur wenige internationale Produktionen. Pina Bauschs mit zusätzlichen Privatmitteln ermöglichtes Gastspiel und das im Rahmen der Mediale gezeigte Titanic von Frederic Flamand und Fabrizio Plessi waren die einzigen furiosen Gastspiele. Einem Vergleich etwa mit dem Berliner Hebbel-Theater oder dem Frankfurter TAT hält ein Kampnagel-Spielplan nicht im entferntesten stand. Auch hier wird wieder offensichtlich, daß zumindest im Bereich Freies Theater Kultursenatorin Christina Weiss liebgewordener Terminus von der „Kulturmetropole Hamburg“ längst die reine Farce geworden ist. Sowohl die vernünftige Unterstützung der Hamburger Produzenten, vom Nachwuchs gar nicht zu reden, wie die Finanzierung eines wirklich aufregenden Gastspielbetriebes ist mit den dem Gelände zugestandenen Mitteln so fern wie der Untergang des Abendlandes.

Ansonsten sah Kampnagel die Institutionalisierung weiterer thematisch interessanter Festivals (etwa Junge Hunde, Wintertheater) und Reihen (etwa Late Show, Kampnagel aktuell), einige regelmäßige Gäste (Rosas, S.O.A.P., Black Blanc

Beur, Ismael Ivo) und viel, viel Kabarett.

Der zukünftige Leiter, der noch in diese Legislaturperiode von der Kulturbehörde ausgerufen wird und die Leitung des Geländes nach der nächsten Spielzeit übernimmt, steht auf jeden Fall vor einer riesigen Aufgabe. Denn die unterschiedlichen Interessen auf dem Gelände ebenso wie die Erwartungen an die Resultate stehen in überhaupt keinem Verhältnis zur Ausstattung. Und bei der Verwaltung des Mangels ein eigenes Profil zu gewinnen oder zu wahren, ist ein Test, den auch Hans Man in't Veld nur mit großen Durchhängern übersteht.

Das Jugendtheater auf Kampnagel (JAK)

Jürgen Zielinskis nur halb finanzierte Parkspielzeit konnte erwartungsgemäß nur wenige Akzente besitzen. Lediglich zwei Premieren und zwei thematische Minifestivals standen vielen Wiederaufnahmen und relativ wenigen Aufführungen gegenüber. Dennoch wurden auch mit den gezwungenermaßen wenigen Aktivitäten der unbedingte Anspruch auf ein fest verankertes JAK nocheinmal deutlich unterstrichen. Kein anderes Theater verbindet momentan in Hamburg einen politischen Anspruch derartig stimmig mit formal überzeugender und innovativer Umsetzung. Das kleine Team ohne gesicherte Perspektive findet für aktuelle ebenso wie für zeitlose Themen immer wieder eine Form, die modern ist, ohne übermäßig zu intellektualisieren, die genau beobachtet und kritisiert und gleichzeitig jeden schimmeligen Agitationsmörtel aus den Inszenierungen kehrt, mit dem das Jugendtheater bei den Jugendlichen seinen schlechten Ruf begründet hat.

Dennoch hängt die Zukunft des JAK in den momentan anstehenden Haushaltsberatungen noch ziemlich in der Luft. Angesichts pessimistischer Steuererwartungen erschwert die „Neue-Projekt-Problematik“ (so Behördensprecher Hinrich Schmidt-Henkel) die Verhandlung um die mindestens eine Million Subventionen, die das Theater für eine vernünftige Arbeit benötigt. Laut Schmidt-Henkel ist die Kultursenatorin aber „vehement“ für die Interessen des Jugendtheaters eingetreten. Dennoch heißt es bis Juli, wenn die (wegen der Wahl) vorläufigen Ergebnisse der Beratungen

präsentiert werden, weiter zittern.

Nach fünf überzeugenden Inszenierungen (in dieser Spielzeit die Öko-Groteske Alles Matjes und das Identitätsstück Hush, das gerade Premiere hatte) und einem Rahmenprogramm, das zuletzt das Veranstaltungswochenende Deutschland Jugend Gewalt zu jugendlichem Rechtsradikalismus und das Kindertheaterfestival Spurensuche umfaßte, hat Zielinskis Team eindrucksvoll bewiesen, daß es in Hamburg momentan wenige Theater gibt, die die Stadt stärker braucht als das JAK.

Die Kammerspiele

Wer behauptet, die neuen Hamburger Kammerspiele des Stephan Barbarino hätten kein Format, der lügt. Wahr dagegen ist, daß dies neue Format sich nicht vorrangig um intellektuelle Auseinandersetzung, gesellschaftliche Zeitströmungen und neue Theaterformen schert, sondern ein Unterhaltungstheater produziert, daß in seiner besten Form immerhin noch derb, in seiner schlimmsten, etwa bei dem Zaubervarieté Tod im Zylinder, nur noch überflüssig ist. Schon mit der Eröffnungspremiere, der Wirtshausoper Heimatlos, ließ Barbarino Hamburg wissen, daß er sich sein Reich zwischen Schmidt's Tivoli und dem leichten Theater der Schlesselmann-Ära im Schauspielhaus zu suchen gedenkt. Bis auf Tankred Dorsts Fernando Krapp, dem einzigen echten Kammerspiel und ernstem Stück der Spielzeit, inszenierte der neue Hausherr an der Hartungstraße Bühnenstücke fürs Zwerchfell. Richard III. wurde

mit dem Kabarettisten Michael Quast und wenigen Schauspielern auf das Format eines Barilly-Stückes gestrippt, Edmund Kean errang immerhin dank Johannes Silberschneider eine gewisse Ergriffenheit und das Sams begeisterte zwar die Kinder und den Kassenwart, beantwortete aber auch nicht die Frage, was Stephan Barbarino dieser Stadt eigentlich zu geben hat.

Daß die Stadt sich da auch noch

nicht so sicher ist, zeigt ein erstes Defizit bis Jahresende '92 von knapp 300 000 Mark. Zwar will Barbarino den Ernst der Lage noch nicht so richtig erkennen und findet ja auch immer wieder Teilhaber, die seinen Optimismus finanziell unterstützen, aber wenn auch sein nächster, ähnlich gestrickter Spielplan nicht voll einschlägt, dann hat der kommende oder bleibende

Präses der Kulturbehörde wieder ein Intendantenproblem.

Die anderen Privattheater

Privattheater haben das strukturelle Problem, daß ihr Publikum keine Experimente duldet, sondern wissen will, wofür es sein Geld ausgibt. Das unterschiedet das Schmidt- nicht vom Ernst-Deutsch- Theater, das monsun nicht vom

Theater im Zimmer. Sie alle bieten in unterschiedlicher Dimension Gewohnheitskost für unterschiedliche Geschmäcker, sonst können sie nicht überleben. So bleibt einem eigentlich nur, die Ausnahmen herauszupicken, wo dann doch einmal Bewegung in die Regeln fährt. Etwa wenn die Kritik das dritte hausgemachte Musical im Tivoli Cabaret überraschenderweise nicht verreißt oder wenn das Theater für das dreißig Jahre verheiratete Ehepaar, das Ernst-Deutsch-Theater, mit Olgas Raum plötzlich eine beängstigend gute Inszenierung, allerdings außerhalb des Abos, auf die Beine stellt. Auch das Theater in der Basilika, das als relativ neues Privattheater auf die Programm-Kontinuität der heiter-verwickelten Beziehungsgeschichten achten muß, konnte mit Bent-Rosa Winkel ein Stück auch noch für die kommende Spielzeit im Programm behalten, das sich in einer schlicht-genauen Inszenierung mit den Schwulen in Nazi-Deutschland beschäftigt. Ansonsten unterhielten die subventionierten Bühnen in privater Hand die Öffentlichkeit noch mit ihren überalterten aber abtretungs-unwilligen Chefs. Till Briegleb