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Die Raser sind lebensgefährlich

■ Serie: Berlins schlimmste Straßen (11): In der Wilhelm-Pieck-Straße wird gerast, die Lärmbelästigung durch den Verkehr ist extrem hoch, die Schadstoffbelastung groß

Mit Unterschriftensammlungen kämpfen Kinder und ihre Eltern aus Mitte seit gestern morgen um ihren Treffpunkt: Das Spieledeck im JoJo-Club an der Wilhelm- Pieck-Straße drohe geschlossen zu werden. Die sechs- bis zwölfjährigen Kinder landeten damit auf der Straße, kritisieren sie, und die sei extrem gefährlich. Damit haben sie leider recht:

Ob von Wedding nach Marzahn oder von Tiergarten nach Frankfurt an der Oder, die Wilhelm- Pieck-Straße ist für viele Autofahrer reine Durchgangsstraße. Vom Oranienburger Tor führt sie über den Rosa-Luxemburg-Platz, um kurz darauf zur Mollstraße und später zur Landsberger Allee zu werden.

Von der kompletten West-Ost- Achse bis zum Autobahnring kann Verkehrsteilnehmern jedoch eigentlich nur abgeraten werden: Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Unfälle sind enorm, zudem ist die Luft in einzelnen Teilen hochgradig schadstoffbelastet, und der Lärm ist groß. Das gilt insbesondere für die Wilhelm-Pieck-Straße im Stadtbezirk Mitte.

Zu diesem Ergebnis kommen die Autoren der Studie zur stadtverträglichen Belastbarkeit der Berliner Innenstadt durch den Kfz-Verkehr, die im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz erstellt wurde. Die Experten der Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung (IVU) und der Forschungsgruppe Stadt und Verkehr (FGS) stellten auffällige Belastungen im Bewertungsfeld Sicherheit, bei der Lärmbelastung und auch der Luftschadstoffbelastung fest. Dabei wurden oft nicht nur die angestrebten Orientierungswerte, sondern auch die Alarmwerte überschritten.

Anwohner leben also doppelt gefährlich, und an ein Mittagsschläfchen ist überhaupt nicht zu denken – auch die Nachtruhe ist keineswegs gewährleistet. Die Experten ordneten die Wilhelm- Pieck-Straße daher in die zweite Dringlichkeitsstufe ein, nur drei Hauptstraßen müssen nach ihrer Ansicht eiliger entschärft werden.

Extrem gefährlich ist vor allem das hohe Tempo der Autos, das von den Gutachtern zwischen der Weydinger Straße und der Zolastraße gestoppt wurde. Bei Kurzmessungen am östlichen Ende wurde bei hundert ungehindert fahrenden Wagen ein Durchschnittstempo von 69 Kilometern in der Stunde ermittelt. Ausgenommen sind dabei bereits die 15 Prozent der Autofahrer, die am schnellsten rasten, da es sich „eingebürgert“ habe, so die Autoren, „daß etwa 15 Prozent der freifahrenden Kraftfahrer die Höchstgeschwindigkeit überschreiten“.

Doch selbst wenn diese unberücksichtigt bleiben, obwohl sie andere Verkehrsteilnehmer schließlich erheblich gefährden, liegt der Durchschnitt deutlich über der Flensburger „Punkte“- Grenze. Zwar rasten die Fahrer in der Stralauer Allee in Friedrichshain mit durchschnittlich 77 Kilometern in der Stunde noch deutlich mehr, allerdings wurde die höchste Geschwindigkeit mit 99 Stundenkilometern in der Wilhelm-Pieck- Straße gemessen.

Die Angst der Eltern ist also berechtigt: Gerade für Kinder, etwa für die, die ab Monatsende nicht mehr im JoJo-Club spielen können, ist dieses Tempo lebensgefährlich. Christian Arns

In der nächsten Folge raten wir von der Joachimstaler Straße ab.

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