Tauche wie dein Schatten

■ Tauchvereine und Tauchschulen in Berlin haben immer größeren Zulauf / An Wochenenden stürmen Busladungen von Hobbytauchern die brandenburgischen Seen / Ausbildungskurse sind nicht einheitlich

Eine Palme neigt sich zum tropisch warmen Wasser hin, Liegestühle und Sonnenschirme säumen den Beckenrand. Die fünf Menschen in ihren neonbunten Anzügen, die die Füße in ihre Taucherflossen quetschen, sollen im Kreuzberger „Dacor Dive Center“ schon in Tauchurlaubs-Stimmung gebracht werden. An der Wand hängt der obligatorische Plastikhai: „Der Hai ist der beste Freund des Tauchers“, versichert Tauchlehrer Olaf Schlegel.

Die Teilnehmer des Anfänger- Tauchkurses haben ihre Taucherwesten angelegt, die Flaschen mit Preßluft umgeschnallt und tapsen nun mühselig zum Beckenrand. „Mit den Flossen immer nur seitwärts oder rückwärts laufen“, ermahnt sie der Tauchlehrer. Einer nach dem anderen tut den vorschriftsmäßigen großen Schritt ins Wasser. Der Unterricht geht in Zeichensprache weiter. In ihrer dritten Praxisstunde üben die angehenden Taucher, sich auf den Beckenboden zu knien und sich auf den Rücken zu legen.

Übungen, die in freien Gewässern auf keinen Fall angewandt werden dürfen: Bloßes Berühren kann die Unterwasserflora im Meer und in Seen schwer schädigen. Seit den Zeiten der – längst geächteten – Harpunenjagd leidet der Tauchsport am Ruf der Umweltschädlichkeit. Angestrengt versuchen Tauchvereine wie kommerzielle Tauchschulen, mit Theoriestunden in umweltgerechtem Verhalten unter Wasser und verschiedenen Aktionen gegen dieses schlechte Image anzugehen. Der Verband deutscher Sporttaucher e.V. (VDST) beispielsweise unterstützt die „Petition Cousteau“ für den Artenschutz und hat die Aktion „Rettet die letzten Zackenbarsche“ ins Leben gerufen. Fachzeitschriften berichten regelmäßig über Unterwasser-Ökologie. Und auch kommerzielle Tauchschulen zeigen sich umweltfreundlich: Der Erlös der Tombola, die das Dacor Dive Center zu seiner Gründung 1990 veranstaltete, wurde zur Rettung der Ostsee gespendet.

„Gerade bei Tauchern ist das Umweltbewußtsein sehr ausgeprägt, die Leute wissen, daß sie nicht auf den Boden platschen oder Fische füttern dürfen“, sagt der VDST-Geschäftsführer Heinrich Väth. „Eine Grundregel heißt: Tauche wie dein Schatten.“ Dennoch gefährdet die rasch wachsende Zahl von Hobbytauchern die Unterwasserfauna und -flora, in Deutschland und in der Welt. Der VDST hat heute 44.000 Mitglieder, doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Im Berliner Landesverband des VDST sind 25 Tauchvereine mit ungefähr 2.000 Mitgliedern registriert, außerdem gibt es etliche kommerzielle Tauchschulen. „Tauchen ist in Berlin die Sportart mit der sechstgrößten Zuwachsrate“, sagt Horst Wildner, Präsident des Landestauchsportverbandes Berlin.

Ein Grund für die wachsende Popularität des Tauchsports sind Unterwasserfilme im Fernsehen, ein weiterer das große Angebot an Tauchreisen. Längst fahren Tauchsportler nicht mehr nur zu den klassischen Zielen in Ägypten und auf den Malediven. In der Karibik, im fernen Osten und in der Südsee schießen in jedem Jahr neue Taucherbasen aus den Stränden. Einige Tauchplätze, die jahrelang viele Touristen anzogen – zum Beispiel das karibische Mary's Place – sind inzwischen schon wieder gesperrt, weil die Korallen zerstört und die Fische abgewandert sind.

Aber auch Nahziele wie die brandenburgischen Binnengewässer müssen seit der Vereinigung einen immer größeren Ansturm von Tauchsportlern aus Berlin aushalten. Zu DDR-Zeiten blieben sie davon weitgehend verschont, denn Tauchen wurde damals nur Bürgern erlaubt, „bei denen man sicher war, daß sie nicht in den Westen wegtauchten“, erklärt Väth. Daß es auch heute noch im Ostteil Berlins nur fünf Vereine mit insgesamt etwa 130 Mitgliedern gibt, erklärt sich wohl durch die hohen Kosten des Sports.

Den Westberlinern, die sich früher mit den größtenteils verschlammten und undurchsichtigen Berliner Gewässern begnügen mußten, stehen jetzt die Seen Brandenburgs und Mecklenburgs offen. Vereine und Tauchschulen absolvieren die – für die Tauchausbildung vorgeschriebenen – Freiwassergänge darum fast immer im Umland. Zwar muß Tauchen mit Gerät als eine Tätigkeit, die über den sogenannten „gemeinen Gebrauch“ hinausgeht, von den regionalen Wasserbehörden genehmigt werden. „Ob eine Genehmigung erteilt wird, hängt von der ökologischen Situation ab“, erklärt Klaus Melzheimer von der Berliner Umweltverwaltung.

Die Kontrollen reichen jedoch nicht immer aus. So wird beispielsweise der Helenensee bei Frankfurt an der Oder an jedem Wochenende von zwei- bis dreihundert Tauchern aufgesucht, die größtenteils in Bussen aus Berlin anreisen – obwohl die Gemeinde beschlossen hat, höchstens achtzig Taucher pro Tag zuzulassen. „Aber weil jeder Taucher fünf Mark ,Eintritt‘ bezahlen muß und auch mal neue Preßluft für seine Flasche kauft, wird das nicht scharf kontrolliert“, sagt Horst Wildner.

Seiner Meinung nach ist der Helenensee – ein Relikt des Braunkohletagebaus – ohnehin nicht besonders schützenswert. Generell findet Wildner die brandenburgischen Wasserbehörden zu engherzig: „Wir haben uns schließlich selbst Beschränkungen auferlegt. Wir tauchen nicht, wenn im Frühjahr die Laichschnüre auf dem Wasser liegen. Wenn das Tauchen aber in immer weniger Seen erlaubt wird, ist der Sport in Deutschland irgendwann tot.“

Vorläufig blüht und gedeiht der Tauchsport weiter, und Vereine und Tauchschulen konkurrieren heftig um den Nachwuchs. Die Ausbildung ist nicht einheitlich geregelt, so daß Anfänger zwischen den insgesamt mehr als vierzigstündigen Lehrgängen der VDST- Vereine oder den mindestens achtzehnstündigen Ausbildungen an Tauchschulen – die manchmal an einem einzigen Wochenende absolviert werden – wählen können. Da die Tauchlehrer nach einheitlichen Kriterien ausgebildet sind, unterscheiden sich die Lehrgänge in der Regel nicht in der Qualität. Im Verein wie in der Tauchschule wird den Schülern beigebracht, Panik und die daraus entstehenden Unfälle zu vermeiden. Im Dacor Dive Center müssen die Anfänger etwa das Mundstück unter Wasser kurz herausnehmen, um die Angst vor dem Ersticken zu überwinden. Trainiert wird auch, beim Auftauchen weiter zu atmen – Luftanhalten kann zu Lungenrissen führen. Ein anderer, oft tödlicher Tauchunfall wird durch zu schnelles Auftauchen aus großer Tiefe verursacht: Der rasche Druckabfall bewirkt, daß der im Blut des Tauchers konzentrierte Stickstoll zu perlen beginnt.

Neben der Aufklärung über mögliche Unfälle sei aber auch das regelmäßige Training – das ein Verein, nicht aber ein Kompaktkurs bietet – wichtig für die Sicherheit, erklärt Eleonore Giese-Böttcher, Ausbildungsleiterin beim „Deutschen Unterwasser-Club“ Berlin (DUC). Ein weiterer Unterschied zwischen der Ausbildung im Verein und der in einer Tauchschule liegt im Preis. Weil die Tauchlehrer der Vereine ehrenamtlich arbeiten, kosten Anfängerkurse dort 430 Mark, im Dacor Dive Center 750 Mark.

Die Faszination der Unterwasserwelt ist trotz aller Gefahren und Kosten für immer mehr Menschen unwiderstehlich. Manche bleiben 25 Jahre dabei, wie der über 50jährige Rudi Hering, der immer noch so begeistert ist wie am Anfang. Seine schönste Tauch-Erfahrung hat er auf einer Reise im Indischen Ozean gemacht: „Wir haben Katzenhaie gestreichelt.“ Miriam Hoffmeyer