„Haushaltsziel wird keinesfalls erreicht“

■ 1994 wird es eine Rekordverschuldung von acht Milliarden Mark geben

Für den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ist nun „die Zeit des Sparens und Streichens“ gekommen. 1994 wird nach allgemeiner Einschätzung das schwierigste Haushaltsjahr in der Geschichte des Landes Berlin werden. Denn obgleich die Ausgaben bei 42 Milliarden Mark stagnieren werden, stehen dem lediglich Einnahmen von 32 Milliarden Mark gegenüber. Die Deckungslücke soll durch die bislang höchste Nettoneuverschuldung von 8 Milliarden Mark und durch Kürzungen geschlossen werden. Bislang lag die Obergrenze der Nettokreditaufnahme des Landes bei 5,8 Milliarden Mark. Wird diese Summe auch 1993 voll ausgeschöpft, werden die Schulden Berlins zum Jahresende 31 Milliarden Mark betragen. Allein die darauf entfallende Zinslast wird 1,8 Milliarden Mark jährlich ausmachen, pro Tag sind das fünf Millionen Mark.

Um das trotz der Nettoneuverschuldung auftretende Haushaltssaldo von 2 Milliarden Mark zu beseitigen, will der Senat auf einer Klausur am 20. Juni eine Reihe von Sparmaßnahmen beschließen. Im Gespräch mit der taz erhob der Präsident des Landesrechnungshofes Horst Grysczyk Bedenken gegen diese Haushaltspolitik.

taz: Herr Grysczyk, die Nettoneuverschuldung des Landes Berlin soll im kommenden Jahr auf acht Milliarden Mark anwachsen. Ist das mit den Grundsätzen einer soliden Haushaltsführung noch vereinbar?

Grysczyk: Die acht Milliarden sind absolut gesehen ein außerordentlich hoher Betrag. Die Summe bietet jedoch grundsätzlich noch keinen Anlaß, Zweifel an einer soliden Haushaltsführung zu üben. Es kommt darauf an, wofür diese Milliarden ausgegeben werden.

Ist mit dieser Summe die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen erreicht, übersteigen die Schulden die Investitionen?

Diese Frage läßt sich zur Zeit noch nicht beantworten, da ich die Eckzahlen für die investiven Maßnahmen im Haushaltsjahr 1994 noch nicht kenne. Ich würde vermuten, daß der Betrag von acht Milliarden größer ist als die Investitionen, aber zuverlässig sagen kann ich das erst, wenn ich die konkreten Zahlen vorliegen habe.

Was würde es bedeuten, wenn sich Ihre Vermutung bestätigen sollte?

Das hieße, daß die Schuldenaufnahme erfolgt, um laufende konsumtive Ausgaben des Haushaltes zu decken. Damit würden unsere Kinder als künftige Steuerzahler mit Zinsen und Tilgungen belastet, ohne daß sie im Gegenzug von entsprechenden Investitionen profitieren können. Das ist nicht nur ein Gesetzesverstoß, sondern wäre auch im Hinblick auf den Generationenvertrag problematisch.

Die vom Senat für seine Regierungszeit beschlossene finanzpolitische Leitlinie ging davon aus, daß noch in dieser Legislaturperiode die Nettokreditaufnahme „so weit zurückgeführt werden muß, daß die Zinslasten unter Einbeziehung der Lasten aus der Wohnungsbaufinanzierung einen Anteil der Steuereinnahmen bilden, der der Quote anderer Bundesländer und ihrer Gemeinden entspricht“. Ist diese Zielsetzung noch zu erreichen?.

Ich denke, daß diese Zielsetzung keinesfalls zu erreichen ist. Interview: Dieter Rulff